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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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war.
    »Aber du hast deine Schwester verloren«, stellte sie fest, als sie damit fertig war.
    Liss begriff, dass Dahlstrøm seiner Tochter von ihr erzählt hatte.
    »Ich weiß gar nicht, wie du heißt«, sagte Liss.
    »Elisabeth«, antwortete das Mädchen.
    Es war sonderbar, die helle Mädchenstimme diesen Namen aussprechen zu hören.
    »So hieß meine Großmutter«, sagte Liss erstaunt. »Das ist ja ein Zufall!«
    Das Mädchen verdrehte ein wenig die Augen.
    »Gar kein Zufall. In der 2 b kenne ich ein Mädchen, das so heißt. Und eine Lehrerin und meine Tante und meine Mama heißen auch so.«
    Thormod Dahlstrøm trat in den Flur und kam auf sie zu.
    »Liss«, sagte er, nicht überrascht, denn er wusste ja, dass sie kommen wollte, und sie hatte den Eindruck, dass er sich freute, sie zu sehen. Sie mochte es eigentlich nicht, wenn Leute sie umarmten, die sie nur flüchtig kannte, doch in seinem Fall hätte sie nichts dagegen gehabt.
    Er wandte sich dem Mädchen zu.
    »Schau nach rechts und links, ehe du über die Straße gehst, Betty.«
    Mit besorgter Miene strich er ihr über die Haare.
    Die Tochter seufzte.
    »Das hast du schon hundertmal gesagt, Papa!«
    Liss konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    »Ich weiß«, gab Dahlstrøm zu und nahm die Zöpfe in eine Hand. Auf den beiden Haargummis, die sie unten zusammenhielten, war je ein gelber und ein roter Marienkäfer. »Vergiss nicht, eine Mütze aufzusetzen, es geht ein fürchterlicher Wind.«
    Als das kleine Mädchen die Auffahrt hinauflief, nahm er Liss die Lederjacke ab und hängte sie hinter einen Vorhang. Daneben hing ein Spiegel.
    »Für kurze Zeit habe ich das Haus für mich allein. Lass uns hinauf ins Wohnzimmer gehen.«
    Liss war froh, nicht in seinem Büro sitzen zu müssen. Hier fühlte sie sich mehr als Gast, weniger als Patient.
    Sie ging vor ihm die Treppe hinauf. Im Kamin loderte ein Feuer.
    »Möchtest du nicht eine Kleinigkeit essen?«, fragte er, als er den Kaffee brachte. »Vielleicht ein paar belgische Pralinen?«
    Sie meinte, einen leicht ironischen Unterton herauszuhören. Für einen Augenblick kam ihr die Idee, dass er sie testen wollte, dass er sich fragte, was für eine Beziehung sie zum Essen hatte. Es beschlich sie unablässig das Gefühl, etwas über sich zu verraten. Erstaunlicherweise irritierte sie das nicht.
    »Was sagen die Ärzte zu deinem Auge?« Er betrachtete die Bandage.
    »Sie wissen immer noch nichts Genaues, gehen aber davon aus, dass ich mein Augenlicht behalte. Allerdings werde ich nicht mehr so gut sehen können wie früher.«
    Er nickte. Versuchte nicht, sie zu trösten.
    »Und wie geht es dir sonst?«
    Sonst? Meinte er die Schlinge um ihren Hals? Viljams Gesicht, als er sie zuzog?
    »Ich muss mit dir noch über etwas anderes reden«, sagte sie. »Viljam war psychisch schwer geschädigt. Er kam zu Mailin, um sich helfen zu lassen. Sie hat ihn verführt.«
    Dahlstrøm blickte sie schweigend an. Seine Augen weiteten sich unmerklich, doch auch jetzt sah er nicht überrascht aus.
    »Du hast es gewusst!«, brach es aus ihr hervor.
    Er lehnte sich in dem hohen Stuhl zurück. Die Augen lagen tief unter seiner Stirn begraben. Der Blick, der aus dieser Tiefe kam, machte sie ruhiger. Konnte ihn denn nichts aus der Ruhe bringen? Doch. Sie hatte die Besorgnis in seiner Stimme wahrgenommen, als er seine Tochter nach draußen schickte.
    »Als wir uns vor ein paar Jahren über ihr Forschungsprojekt unterhielten, hat Mailin von einem Patienten erzählt, der ihr große Sorgen machte«, sagte er. »Es bestand kein Zweifel, dass er schwere psychische Schäden davongetragen hatte.«
    »Viljam ist seit seinem zwölften Lebensjahr von Berger missbraucht worden. Mailin hat mir eine CD geschickt, auf der die Gespräche protokolliert sind, die sie damals mit ihm geführt hat.«
    »Eine CD ? Darüber solltest du mit der Polizei reden, Liss.«
    »Ich habe es ihnen gesagt. Aber als ich Viljam von der Hütte aus anrief, hat er mich dazu gebracht, ihm zu sagen, wo die CD ist. Er hat sie vernichtet. Er war wie besessen von dem Gedanken, dass niemals jemand etwas über ihn und Jakka erfahren sollte. So hat er Berger immer genannt.«
    »Aber Mailin könnte doch mehrere Kopien gehabt haben.«
    Liss nahm sich eine der kleinen Schokoladenkugeln, die in einer kleinen Schale mit Rosenmuster lagen.
    »Ich bin mir sicher, dass Viljam alle vernichtet hat. Sonst hätte die Polizei sie längst gefunden.«
    Dahlstrøm schlug die Beine übereinander und strich
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