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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut
Autoren: Torkil Damhaug
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Ich nehme an, dass er sich sein Schweigen bezahlen lassen wollte. Von irgendwas muss man ja schließlich leben.«
    »Aber Viljam war doch den ganzen Donnerstag über in der Uni und danach bei dieser Studenteninitiative.«
    Viken schob den Stuhl zurück und streckte seine relativ kurzen Beine aus.
    »Wir haben uns die Videobänder des Ibsen-Parkhauses angesehen. Mailins Wagen wurde am Morgen dort abgestellt. Während seiner Pause bei der Studenteninitiative hatte Viljam genügend Zeit, bei Deli de Luca einzukaufen und Mailins Auto in die Welhavens gate zu fahren.«
    Liss bemerkte, dass sie unablässig an einer Haarlocke drehte. Sie ließ die Hand auf die Armlehne fallen.
    »Viljam ist sexuell missbraucht worden«, sagte sie. »Er ist Berger begegnet, als er zwölf war und mit seiner Familie einen Urlaub im Süden machte.«
    Viken sperrte die Augen auf.
    »Wissen Sie, welche Urlaubsreise das war?«
    Sie erzählte ihm von Mailins CD und gab ihm alle Details, an die sie sich erinnern konnte. Der Kommissar lauschte aufmerksam, ohne sie zu unterbrechen. Wie er da auf seinem Stuhl am Fenster ihres Krankenzimmers saß, erschien er ihr weniger aufdringlich, weniger gefährlich.
    »Viljam hat Berger Jakka genannt.«
    »Wenn das stimmt«, entgegnete Viken, »dann beantwortet uns das einige offene Fragen. Falls Viljam damals zwölf Jahre alt war, fand die Reise höchstwahrscheinlich 1996 statt. Sie wissen nicht, wohin die Reise ging?«
    »Ich glaube, es ist von Kreta die Rede.«
    Viken machte sich eifrig Notizen.
    »Könnte es noch weitere CD s geben?«, wollte er wissen.
    »Viljam hat die CD von Mailin vernichtet. Er hat alles vernichtet, was sie schriftlich festgehalten hat. Er und Jakka haben einen Pakt geschlossen. Sie wollten lieber sterben, als etwas von ihrem Verhältnis preiszugeben. Mailin musste sterben, weil sie herausgefunden hatte, wer Jakka war.«
    »Und trotzdem wollte Berger Viljam in seiner Talkshow als Mörder enttarnen? Das hat er zumindest
VG
gegenüber angedeutet.«
    Liss erinnerte sich, was Viljam darüber gesagt hatte.
    »Er hat Berger vorgegaukelt, dass er den Mord im Fernsehen gestehen würde.«
    Viken strich sich mit zwei Fingern über sein glatt rasiertes Kinn, während sie zu Ende erzählte.
    »Berger hatte wohl schon den Rest seiner Urteilsfähigkeit eingebüßt«, bemerkte er. »Die Sache mit dem Pakt ist mir noch unklar, doch wenn es stimmt, was Sie sagen, erklärt das zumindest, warum er Viljam in seine Wohnung ließ. Was genau dann geschehen ist, können wir nur vermuten. Aber wir haben Spuren gefunden … nun, die beiden waren in seiner Wohnung zusammen, kurz bevor Berger an einer Überdosis Heroin starb.«
    Liss hatte kein Bedürfnis, nähere Einzelheiten darüber zu erfahren.
    »Dieses Mädchen aus Bergen«, sagte sie stattdessen. »Ylva Richter. Warum hat Viljam sie über sieben Jahre nach dieser Kretareise überhaupt aufgesucht? Hatten sie zwischendurch mal Kontakt?«
    Viken zuckte mit den Schultern.
    »Ich hoffe, das werden unsere Ermittlungen ans Tageslicht bringen. Vorerst bleiben ein paar Fragen ungeklärt.«
     
    Im Leben schleppen wir vieles mit uns herum, hatte Liss gedacht, als Viken aufstand, um zu gehen. Als sie im Krankenhaus erwachte, hatte sie gewusst, dass ihre Schuld beglichen war. Fast hätte der Tod sie erwischt, doch sie war ihm von der Schippe gesprungen. In den folgenden Tagen, als sie mit ihrem gesunden Auge zum Fenster hinaussah, war dieses Gefühl immer schwächer geworden. Denn was sollte das für ein seltsamer Ausgleich sein? Hatte Zako oder seine Familie etwas davon, dass sie selbst um ein Haar getötet worden wäre?
    Als Viken bereits die Hand auf der Klinke hatte, wäre sie fast mit dem herausgeplatzt, was in der Bloemstraat geschehen war. Sie öffnete schon den Mund, doch etwas hielt sie in letzter Sekunde davon ab. Nein, sie wollte niemand davon erzählen. Damit musste sie allein fertig werden.
    Eine Krankenschwester kam herein. Sie klopfte an, während sie die Tür hinter sich schloss.
    »Haben Sie alles, was Sie brauchen, Liss?«
    Sie sagte ihren Namen, als seien sie alte Freundinnen, die sich endlich wiedergetroffen hatten. Im Übrigen war sie eine Hilfskrankenschwester. Ziemlich mollig und mit scharfem Blick, aber doch routiniert freundlich.
    Liss hatte keinen Hunger und brauchte auch keine fremde Hand, die sie halten konnte. Doch fiel ihr ein, worum sie sie bitten konnte.
    Kurz darauf war die Krankenschwester zurück und legte einen Stift sowie ein kleines
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