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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte
Autoren: Andrew Harman
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und rechts der Hakennase aus den Augen des Zugeäscherten. »Wie kann es denn sein, daß du es nicht kommen gesehen hast?« schrie Miesly, dem schwarzer Staub aus der Toga wehte.
    »Also, ich … Kommen gesehen? Was denn?« winselte Quintzi und bemühte sich, sowohl seine Brustwarzen als auch die nackte Wahrheit zu verbergen, daß hinter seiner hellseherischen Fähigkeit nur ein einziges Geheimnis steckte: ein leistungsstarkes, für die Zwecke der Wettervorhersage hervorragend geeignetes Fernrohr.
    »Aha! Er weiß es nicht! Selbst jetzt, nachdem es passiert ist, hat er keine Ahnung!« schrie der Oberauspizient des Amtes für Obsteinlagerung und forderte mit weit ausholenden, raumgreifenden Gesten Unterstützung von seiten des Publikums. »Die schlimmste Katastrophe in der Geschichte der Obsteinlagerung ist eingetreten, und dieser Widerling, der eigentlich für Avocados zuständig ist, hat keinen blassen Schimmer!«
    Tehzo Khonna wollte nicht glauben, wie ihm geschah. Die Preisverleihung der Auguralakademie war seine Show! Und dieses Show wurde ihm jetzt gestohlen. Das Publikum beachtete ihn überhaupt nicht mehr. Es hörte einem verrußten Niemand und einem widerwärtigen Schurken zu. Es mußte etwas geschehen, bevor es zu spät war. Er schnalzte mit den Fingern. Auf dieses Zeichen hin sprangen seine Sänftenträger wie ein Mann in den Orchestergraben, warfen den Dirigenten um und hielten ihn auf dem Boden fest. Tehzo Khonna bog dem Konzertmeister den Kragen hoch und brüllte ihm wütend eine ganze Reihe von Anweisungen zur Rettung der Show zu.
    »Wovon sprechen Sie eigentlich?« schnatterte Quintzi.
    »Wenn du damit erreichen wolltest, daß wir Avocados für immer entbehren müssen, dann ist dir das perfekt gelungen!« kreischte Miesly und schwang die Statue wie eine durchgedrehte Grundschülerin eine Gymnastikkeule.
    Ein leise zischendes Geräusch lief durch den Tempel, als die Festgäste erschrocken den Atem anhielten, und überall war ein dumpfes Gemurmel – »Avocados?« – zu hören.
    »Perfekt geplant und exzellent ausgeführt! Ich kann nur sagen ›Hut ab‹!« Er sagte es nicht nur: Ein Wolke versengter Haare begleitete die entsprechende Aktion. »Gratuliere. Es gibt in ganz Axolotl keine einzige intakte Avocado mehr. Alle drei Scheuern auf einen Schlag – einen perfekt gelenkten Blitzschlag, meine ich damit – ruiniert. Gut gemacht!«
    Quintzi – und mit ihm der weitaus größere Teil des empörten Publikums – wollte seinen Ohren nicht trauen. Wieder schwirrte und brummte ihm der Kopf. Stimmte das? War es denn wirklich wahr?
    Die Sänftenträger zogen Tehzo aus dem Orchestergraben, stellten sich atemlos hinter dem Katheder in Positur und zupften dem Zeremonienmeister die Toga glatt.
    »Wie hast du dir das gedacht, hä?« schrie der aschfarbene Miesly und stieß Quintzi mit dem Kopf der Preisstatuette in die Rippen. »Warten, bis alle halbverrückt sind nach Avocados, und dann deinen geheimen Vorrat auf dem Schwarzmarkt verkaufen? Hätte ganz schön was eingebracht!«
    »Nein … ich …«
    »Packt ihn!«
    Als der Mob losstürmte, schrie Quintzi erschrocken auf und riß die Hände hoch. Damit wurden seine lästerlichen Brustwarzen ein zweites Mal für jedermann überdeutlich sichtbar; empört heulte die von diesem Anblick gepeinigte Menge auf und taumelte angewidert zurück.
    Ein winzige Unterbrechung nur, aber ausreichend für Quintzi: Er machte umgehend auf dem Absatz kehrt, verlor dabei um ein Haar sein Badetuch und stürzte zur Tür. Die Menschenmenge, die auf den Anblick zweier lästerlicher vorüberspurtender Brustwarzen nicht vorbereitet war, wich noch weiter zurück und verbarg heulend und klagend das Gesicht in den Händen.
    Tehzo schrie »Los!«, und das Orchester stimmte eine stottrige Version der Hymne der Auguralakademie an. Benommen fuhr die Zuhörerschaft herum. Der Zeremonienmeister hämmerte auf das Vortragspult ein und lenkte geräuschvoll die Aufmerksamkeit des Publikums wieder auf sich. »Damunherrn! Herzlich willkommen zum zweiten Teil der Preisverleih …«
    Quintzi hetzte weiter, stürzte ins Freie und stand endlich im blendendhellen Sonnenlicht. Blinzelte verwirrt beim Anblick der dicken Rauchwolke über dem Horizont und starrte wie gelähmt auf seine Zukunft, die in Trümmern lag. In Avocadotrümmern … So nahe davor und doch so unerreichbar …
    »Ah! Da sind Sie ja endlich!« rief ihn jemand von hinten, aus dem Schatten an: ein Mann, der einen langen Laborkittel trug. »Ich
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