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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte
Autoren: Andrew Harman
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abgenutzte Toga mit Rockaufschlägen, wie sie schon seit drei Jahren nicht mehr in Mode waren [3] , und applaudierte überschwenglich den beiden Gestalten, die sich mühsam die steile Podiumstreppe hinabplagten. »Danke, vielen Dank!« schrie er und sprach jetzt unvermittelt das Publikum an. »Und damit wären wir auch schon an jenem Punkt unseres Programms angelangt, an dem wir, die Auguralakademie, alle diejenigen ehren wollen, die jahraus, jahrein hinter den Kulissen unermüdlich eine Arbeit verrichten, an die unsereiner nie auch nur einen einzigen Gedanken verschwenden würde. Ich meine damit natürlich die Jungs und Mädels von der Geschäftsstelle für Abfallsvorhersage, die mit nie ermüdendem Weitblick dafür sorgen, daß auch noch das letzte Stück Müll auf der Wertstoffsammelanlage landet. Einen ganz großen Applaus, bitte, für die Abfallsvorhersage!«
    Ein Beifallssturm brachte den Tempel zum Dröhnen.
    Draußen segelte die geheimnisvolle schwarze Wolke sacht auf einen kleinen Gebäudekomplex, auf drei Vorratsscheuern zu.
    »Und dann sind da noch die Leute vom Amt für Nichtvorhersehbare und Unerwartete Nahrungs- und Genußmittelverteilung. Ihre überaus gewissenhafte Kaffeesatzleserei, ihr mit äußerster Sorgfalt durchgeführtes Studium von Bröseln und Pastaformen garantieren, daß überall und an jedem Abend der von Ihnen gewählte Schnellimbiß den Weg in Ihre Abfalleimer findet. Zeigen wir ihnen, wie sehr unsere Mägen ihre Arbeit zu schätzen wissen, Applaus für die Mannschaft von der ANUNG!«
    Und wieder schallten Bravo-Rufe und rauschender Beifall durch den Tempel. Schwer zu sagen, wie lange der Beifallssturm angehalten hätte: Tehzo erhob nach etwa einer Minute die Arme und winkte besänftigend ab, bis das Auditorium in aufgeregt-verzückter Stille verharrte.
    Draußen tat die Wolke etwas, das nicht ins gängige Bild natürlicher meteorologischer Phänomene paßte: Sie hickste, stieß gewissermaßen auf. Und im Innern der Wolke blitzte es schwach.
    »Nein … nein … bitte«, leitete im sicheren Schutzraum des Tempels der Zeremonienmeister schwungvoll zum nächsten Programmpunkt über. »Leider: So wertvoll und unerläßlich diese Arbeiten für unsere Lebensart in Axolotl auch sein mögen – der diesjährige Preis der Auguralakademie für Ode und Langweilige Jobs geht an jemand anderen. An jemand, der bis auf wenige 3,5 Prozent alle für sein Gebiet einschlägigen Katastrophen rechtzeitig, nämlich einen Monat vor ihrem Eintreten vorausgesagt hat …«
    Ooooh! rauschte es brausend durch den Tempel. Quintzi war verblüfft. Prophetische Effizienz dieser Sorte verdiente allemal einen Preis!
    »… und darüber hinaus, meine Damen und Herren, wurden auch diese restlichen 3,5 Prozent disaströser Geschehnisse innerhalb weniger Stunden vor dem geweissagten Zeitpunkt aufspürt und abgewendet. Jawoll, meine Damen und Herren, noch am Tage ihres angenommenen Eintretens aufspürt und abgewendet – durch die Entfaltung einer beispiellosen präkognitiven Aktivität in letzter Minute!«
    Wieder brandete allüberall Applaus auf, und diesmal ertappte sich auch Quintzi dabei, daß er in die Hände klatschte wie ein durchgedrehter Seehund, dem ein Hering vor die Nase gehalten wurde.
    Draußen vor der Stadt hickste die Wolke ein zweites Mal.
    »Bitte, meine Damen und Herren, bitte!« krächzte Tehzo, der sich vor Begeisterung heiser geschrien hatte. »Damen und Herrn, bitte! Gäbe es diesen weitblickenden Mann nicht, diesen Mann und sein phantastisches Geschick, Katastrophen abzuwenden, dann gäbe es heute für uns keine Avocados mehr. Es ist einzig und allein sein Verdienst …«
    Quintzi schüttelte verwundert den Kopf. Avocados … hatte er wirklich Avoca …
    »…daß eine komplette Jahresvorratsmenge Avocados sicher in den Vorratsscheuern eingelagert ist. Und deshalb möchte ich jetzt, anläßlich der Verleihung des diesjährigen Preises der Auguralakademie für Außergewöhnliche Akkuratesse in einem Öden und Langweiligen Job, noch einmal Applaus hören! Dieses Mal für ein wertvolles Mitglied des Obsteinlagerungsdienstes (Abteilung Avocado), für Herrn Quintzi Cohatl!«
    Im selben Augenblick, als ungezählte Hände frenetisch applaudierten, saugte eine pechschwarze Wolke mit monumentalen Schluckbewegungen riesige Luftmengen ein, schwoll mit einem unheilvollen Rumpeln an und kollabierte mit einer gewaltigen Entladung zischender Blitze. Ein Blitzstrahl zuckte aus dem ansonsten wolkenlosen Himmel,
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