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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose
Autoren: Hubert Haensel
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erkannten. Es war jener, dem sie auf dem Rückweg von Ngore begegnet waren. Er schien sichtlich erfreut, Burra zu sehen.
    »Wo ist Learges?« fragte er. »Aleoch sucht ihn.«
    »Ihr kommt zu spät.«
    »Ist - ist er tot?«
    »Noch nicht. Allerdings wird er sehr bald den Tempel zum Einsturz bringen.«
    »Dann erfüllt sich, was geweissagt wurde…«
    Burra zeigte auf den bewußtlosen Mythor.
    »Helft uns, ihn an die Oberfläche zu schaffen«, sagte sie. »Irgendwo wird schon unser Schiff warten.«
*
    Gorma sah es, aber sie begriff nicht, daß die Qualle, in der sie gefangen war - seit Tagen schon, wenn ihr Gedächtnis sie nicht trog -, die Richtung geändert hatte. Erst allmählich wurde ihr bewußt, daß sie wieder auf den Altar und die dahinterliegende düster gähnende Felsspalte zutrieb.
    Die anderen waren in ihrer Nähe:
    Sosona, Scida, Kalisse und der Beuteldrache.
    Oben auf der Galerie stand die Meermutter. Aber nicht mehr das düstere Wallen umgab sie, sondern da war ein Schein wie ein Regenbogen, der sie einhüllte und dämonische Schatten auf ihr Antlitz zauberte.
    Nun ist es endgültig soweit, schoß es Gorma durch den Sinn. Wir werden der Anemona geopfert.
    Als sie ihre Schwerter aus den Scheiden zog, stellte sie fest, daß sie zitterte. Indes, blieb ihr keine Zeit mehr, sich zur Ruhe zu gemahnen. Ein unförmiges, braun und rot geflecktes Etwas wälzte sich mit ruckartigen Bewegungen aus der Felsspalte hervor. Fühler, deren Schlag tödlich sein mußte, peitschten das Wasser, zuckten auf die Qualle zu. Ein mächtiger, schleimiger Leib wurde sichtbar, nackt und ekelerregend - eine Schnecke, wie sie feuchte Niederungen bevölkerten, nur ins Gigantische gewachsen. Zähne so lange wie Dolche vermochten jede Beute mühelos zu zerreißen. Ihr Anblick beraubte die Amazone der letzten Hoffung. Schwerthiebe würden nur die äußere Speckschicht des Monstrums verletzen, niemals aber tödlich wirken.
    War dies die Anemona, die Göttin der Tritonen? Gorma zweifelte nicht daran. Die Meermutter mußte es ausgezeichnet verstanden haben, das gefräßige Ungeheuer für ihre Zwecke auszunutzen.
    Fünf Schritte noch… Gorma schrie, wie sie nie zuvor in ihrem Leben geschrien hatte.
    Als hätte es nur dieses Anstoßes bedurft, hallten plötzlich unheimliche Geräusche durch die Unterwasserwelt, begleitet von einem Beben, das in der Nähe befindliche Gebäude wanken ließ.
    Die Töne waren nicht zu beschreiben. Alles Böse und Erschreckende schien sich in ihnen zu manifestieren.
    … als wäre die Schattenzone über Ptaath hereingebrochen.
    Immer lauter klangen die Geräusche auf, wie das Brüllen blutgieriger Dämonen.
    Irgendwo stürzten Felsen ein. Aber selbst ihr Krachen vermochte das Schreckliche nicht zu übertönen, das den Atem stocken ließ und den Herzschlag aufhalten wollte.
    In dem Gestein rings um die Opferstätte bildeten sich erste Risse, zugleich begann die Galerie zu wanken. Die Anemona, nunmehr vollends aus ihrem Felsspalt hervorgekrochen, schob sich an der steilen Wand des Grabens in die Höhe.
    Gorma ließ ihre Schwerter fallen, um sich beide Hände auf die Ohren zu pressen. Aber die Töne schwollen eher noch lauter an. Das Wasser schäumte auf.
    Tod und Vernichtung brachen über diesen Teil von Ptaath herein. Und inmitten des beginnenden Irrsinns stand die Meermutter, umringt von ihren Hohenpriesterinnen, und versuchte, dem Einhalt zu gebieten.
    Vielleicht hätte sie es tatsächlich vermocht, aber unvermittelt sackte der Boden unter ihr weg. Sie stürzte, überschlug sich, suchte mit ausgebreiteten Armen nach einem Halt, aber jäh entstehende Wirbel zerrten sie mit sich, hinab in den Graben, in dem der Meeresgrund aufzubrechen schien.
    Gorma sah Risse in der Grundmauer der Tempelkuppel entstehen. Gesteinstrümmer krachten von oben herab. Einer dieser mannshohen Quader streifte die Meermutter und begrub etliche Okeara-lör unter sich.
    Die Luftblase, von der die Namenlose eben noch umgeben war, löste sich auf. Gleichzeitig trieb eine Qualle von der Seite heran. Gorma erschrak, als sie erkannte, wer in dem Tier gefangen war: keine geringere als Zaem.
    Die Zaubermutter hatte fast alle ihre Farben verloren. Beschwörend streckte sie die Arme aus.
    Die Namenlose kämpfte derweilen gegen den Ertrinkungstod an. Sie bemerkte nicht, daß die Anemona sich immer näher an sie heranschob. Erst als es bereits zu spät war, wurde sie aufmerksam. In blinder Raserei griff die riesige Schnecke ihre Gebieterin an, die dem
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