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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness
Autoren: Aufbau
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nichts zu reden gibt, spielt sie mit dem Stiel ihres Glases. Auf einmal tut sie mir leid. Sie gibt sich Mühe, was man von Wolfboy nicht behaupten kann. Was ist nur in ihn gefahren?
    »Was für einen Laden hast du denn?«, frage ich.
    Ortolans Augen sind von dem gleichen Grau wie ihr Catsuit. »Ich entwerfe Kleider.«
    »Wow.« Kein Wunder, dass sie so super aussieht. »Ist das auch von dir?« Ich zeige auf ihr Outfit. Wenn ich so eine Figur hätte, würde ich auch in hautengem Lycra rumlaufen.
    Ortolan nickt. »So beeindruckend ist das aber nicht. Es ist nur ein kleiner Laden und ich nähe alles selbst. Kommst du aus der Stadt, Wildgirl?«
    Man muss ihr zugutehalten, dass sie meinen albernen Decknamen ohne eine Spur Sarkasmus ausspricht. Aber es ist eine Sache, wenn Wolfboy mich so nennt, und eine andere, den Namen aus dem Mund einer Erwachsenen zu hören. Ich werde rot. »Sieht man mir das sofort an?«
    »Das ist ein Kompliment. Für so eine tolle Haut würde ich alles geben.«
    »Ja, hier sehen alle so aus, als könnten sie mal ein, zwei Steaks vertragen.«
    Ortolan lacht herzlich. »Ehrlich gesagt, finde ich den Laden auch ein bisschen überambitioniert. Aber ich treffe hier viele meiner Kunden. Ein paar Stammkunden laden mich gelegentlich ein, und es macht sich gut, wenn ich ab und zu Ja sage.«
    »Man wird hier so angestarrt. Ich komme mir vor wie auf dem Präsentierteller.«
    »Sie beneiden euch, weil ihr jung seid. Ihr beiden seid wie zwei exotische Wesen aus dem Land der Jugend.«
    Diesen Quatsch mit der schönsten Zeit des Lebens hab ich noch nie verstanden. Wenn es nicht schöner wird als das hier, könnte ich jetzt auch aussteigen. Ich will in die schimmernde Oase der Erwachsenenwelt.
    »Das ist ja ein Witz.«
    »Sie wissen nicht mehr, wie verwirrend das Leben war, als sie in deinem Alter waren.«
    Wolfboy und seine schlechte Laune hätte ich fast vergessen, aber unser Gespräch langweilt oder nervt ihn offensichtlich, denn er steht abrupt auf, fahrig und grummelig. Ortolan blickt überrascht auf.
    »Entschuldigt mich, ich muss … Ich wollte …«
    Ohne den Satz zu beenden, geht er davon.
    Ortolan stellt ihr leeres Glas auf den Couchtisch. Ihre Augen glänzen wie eine Straße nach einem Regenguss. Ein Schweigen breitet sich aus, das niemand durchbrechen wird, wenn ich es nicht tue. Ich muss sie fragen. »War da mal was zwischen euch?«
    »Nein.« Ortolan blinzelt die Tränen weg. Ich bin erleichtert. Wenn Wolfboy mit Frauen wie ihr gehen würde, hätte ich keine Chance. Mehr scheint sie nicht sagen zu wollen, aber ich sehe wohl so verwirrt aus, dass sie sich genötigt fühlt, es zu erklären. »Oder in gewisser Weise schon. Ich war mit seinem großen Bruder zusammen. Vor langer Zeit.«
    »Das ist alles? Deshalb braucht er doch nicht so unfreundlich zu sein.«
    »Sei nicht so streng mit ihm … Es war eine schwierige Situation. Immer wenn ich Jethro sehe, denke ich einen kurzen Moment lang, es wäre sein Bruder. Ich freue mich immer, ihn zu sehen, aber …«
    Ich recke den Hals und halte nach Wolfboy Ausschau. Er steht an der Theke und redet mit dem Kerl, der uns die Drinks spendiert hat. Hauptsache, er geht nicht ohne mich weg.
    Ich wende mich wieder Ortolan zu. Ihr Gesicht ist immer noch blass und traurig. »Dann bist du auch in Shyness aufgewachsen?«
    »Ja. Aber mit Anfang zwanzig bin ich weg und hab ein paar Jahre im Ausland gelebt. Als ich von der Dunkelheit gehört habe, bin ich zurückgekommen.«
    »Du bist wieder hergezogen? Um in der Dunkelheit zu leben?«
    »Na ja, nicht ganz. Ich lebe direkt hinter der Grenze, hier in Panwood. Alle hielten mich für verrückt, weil ich zurückgekommen bin. Ich kann es nicht erklären, aber ich wusste, dass es sein musste. Es war die richtige Entscheidung.«
    Ich kann mir nicht vorstellen, je nach Plexus zurückkehren zu wollen. Wenn ich erst mal abgehauen bin, komme ich nicht eher wieder, als bis etwas aus mir geworden ist. Ein anderer Mensch, der nie wieder hier festsitzen wird.
    »Und du bist erfolgreich hier. Ich meine, du hast deinen eigenen Laden. Das stell ich mir echt cool vor.«
    »Ich glaube nicht, dass ich woanders solche Kleider machen könnte. Wenn ich Inspiration brauche, gehe ich einfach durch die Straßen. Schau doch mal bei mirrein. Ich hab ein paar Teile, die dir super stehen würden.«
    »Ja, gern«, sage ich, und das meine ich auch so. Auf den ersten Blick habe ich Ortolan für kühl und unnahbar gehalten, aber da habe ich mich gründlich
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