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Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Titel: Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
Autoren: Alexia Casale
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dieser Gedanke tut ihm so weh, dass ein Zucken über sein Gesicht geht.
    Aber Adam ist weg, und ich bin da, und ich spüre, wie Onkel Ben die Trauer zurückdrängt, um seine Liebe jenen zu geben, die sie brauchen.
    »Gut«, sagt er etwas zu harsch und fährt fort: »Gott hat ihn in den Garten Eden gesetzt, aber …« Er holt Luft, als wollte er Mut schöpfen. »Aber Adam war einsam, und er langweilte sich, und so bat er Gott um eine Gefährtin. Gott hatte Verständnis für diese Bitte. Er ließ Adam einschlafen und entfernte im Schlaf eine seiner Rippen, und daraus erschuf er Eva. Deshalb stammen alle Frauen von dieser einen Rippe ab.«
    »Gott hat sich nie für mich interessiert.« Ich klinge etwas verbittert. Ist nicht zu vermeiden.
    Onkel Ben sieht mich stirnrunzelnd an. »Du weißt ja, dass ich auch nicht an den Kram glaube, Evie. Ich bin ein hoffnungsloser Heide, genau wie Amy und Paul.«
    Ich versuche, die Verbitterung runterzuschlucken, die in meiner Kehle brennt und dafür sorgt, dass sich meine Brust verkrampft und meine Lunge einschnürt. »Ja.« Ich flüstere fast und klinge heiser, wenn auch nicht mehr so verbittert wie zuvor.
    »Wenn alle Frauen auf dieser Welt tatsächlich von Adams Rippe abstammen, dann haben wir von deiner Rippe noch so einiges zu erwarten. Ein lustiger Gedanke, findest du nicht auch?«
    Ich zucke mit den Schultern. Früher war ich gläubig. Ich glaubte fest an Gott, obwohl ich nie zur Kirche ging. Ich betete jeden Abend. Immer vergeblich. Warum sollte mir Gott, der mir schon damals nicht half, also jetzt zur Seite stehen? Wenn er unbedingt eine meiner Rippen hätte haben wollen, hätte er sie sich doch genauso holen können wie die von Adam. Dann wäre ich einfach eingeschlafen und ohne Rippe erwacht. Dann wäre die Sache halb so wild. Trotz der Fäden.
    »Du musst es dir vorstellen wie in den Mythen und Legenden der nordischen Götter. Erinnerst du dich noch an das Projekt im letzten Schuljahr?«, fragt Onkel Ben, aber er klingt nicht mehr so fröhlich wie zuvor.
    Ich weiß, dass ich eine Schnute ziehe, jene Miene aufsetze, die meine … die Fionas Mutter dazu veranlasst hat, mich ein »hässliches, mürrisches kleines Biest« zu nennen. Ich versuche, mich zu entspannen, atme tief aus, würde gern mein Gesicht glätten, wie ich die Falten meiner Steppdecke glatt streiche.
    »Also hör zu«, sagt Onkel Ben bedeutsam, »wenn du dir ein Haustier aussuchen dürftest – unter allen Tieren, die es auf dieser Welt gibt, meinetwegen auch unter erfundenen Tieren –, welches hättest du gern?«
    Das weiß ich sofort. »Einen Drachen!«, antworte ich, und die Vorstellung raubt mir kurz den Atem. Ich muss an das Bild in einem Buch über chinesische Kunst denken, das wir in der Schule betrachtet haben: ein rot-goldener Drache,der sich ringelt und windet und Rauch und Feuer aus seinen Nüstern bläst. Ich konzentriere mich darauf, lasse ihn in Gedanken so lebendig wie möglich werden, zwinge mich dazu, nicht mehr an Gott und an unerhörte Gebete und die Bitterkeit sinnlosen Hoffens zu denken.
    Ich lasse den Drachen immer wirklicher, immer echter werden.
    Onkel Ben lacht. »Oh, ja«, sagt er. »Ein Drache. Das wäre ein tolles Haustier. Welche Farbe?«
    Der Drache, den ich mir vorstelle – der aus dem Buch –, ist rot, aber ich antworte: »Die Farbe ist egal.« Und das stimmt. Wenn es Drachen wirklich gäbe, wenn ich tatsächlich einen bekommen könnte, wäre mir die Farbe egal. »Und die Größe auch. Ein kleiner wäre prima«, sage ich laut.
    Meine Brust schnürt sich sehnsuchtsvoll zusammen. Wenn ich einen Drachen hätte, wäre ich nie mehr machtlos … Aber daran darf ich nicht denken.
    »Hauptsache, er speit Feuer«, flüstere ich und verbiete mir jeden weiteren Gedanken daran. Ich stelle mir nur vor, wie der Drache auf meinem Schoß sitzt und zu mir aufblickt. »Er muss auf jeden Fall Feuer speien.«
    »Na klar!«, sagt Onkel Ben, und er klingt wieder fröhlich. »Weißt du, was? Ich habe mir ein kleines Projekt für uns beide ausgedacht. Wie wäre es, wenn wir deine Rippe aus dem Formaldehyd nehmen und einen Drachen daraus schnitzen? Ein echter wäre natürlich besser, aber ich fürchte, ich habe meine magischen Kräfte verloren. Vielleicht könntest du ihn mit einem Zauber oder einem Wunsch belegen, wer weiß? Das wäre doch eine schöne Vorstellung.«
    »Herrlich«, seufze ich, schließe die Augen und sehe wieder den Drachen vor mir. Bei diesem Bild muss ich lächeln. »In der
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