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Die Nacht des schwarzen Zaubers

Die Nacht des schwarzen Zaubers

Titel: Die Nacht des schwarzen Zaubers
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Abenteurer. Und mein Sohn weiß nicht, wie krank er ist.«
    »Dann sollten Sie verhindern, daß er die heutigen Zeitungen in die Hand bekommt.« Dr. Bergström deutete auf einen Schiffsteil – vermutlich handelte es sich um den Trakt, in dem sich das Schiffslazarett befand. »Die deutschen Zeitungen bringen Berichte über den Vater, der seinem Sohn, der nur noch zwei Jahre zu leben hat, die Welt zeigen will. Sogar ein Bild von Ihnen ist veröffentlicht.«
    »Das ist mir unverständlich.« Baumann blickte hinauf zum Oberdeck. Dort stand jetzt Volker an der Reling und winkte ihnen zu. »Die ganze Aktion ist so still wie möglich abgelaufen. Ich habe nie einen Reporter gesprochen.«
    »Es sind clevere Jungs, die da in den Redaktionen sitzen.« Dr. Bergström hob die breiten Schultern. »Was wir an deutschen Zeitungen an Bord einsammeln konnten, haben wir getan. Das schließt aber nicht aus, daß andere Passagiere sie liegenlassen, wenn sie sie ausgelesen haben. Aber morgen wird es sowieso nur eine Bordzeitung geben. Die Stewards sind angewiesen, alle deutschen Zeitungen zu vernichten. Wenn ich Ihnen sonst noch helfen kann -«
    »Danke.« Baumann winkte Volker zu. Ein Gedanke beschäftigte ihn ganz besonders. Wie würde der Junge reagieren, wenn er die Wahrheit erfuhr? Diese Möglichkeit hatte er nie in Betracht gezogen und deshalb auch nie mit Marga darüber gesprochen. Aber ein Wort nur, eine Mitleidsgeste von Seiten der Passagiere, die die Zeitung gelesen hatten und Baumann nun an Bord wiedererkannten – irgendein Tröstungsversuch – er konnte die Katastrophe auslösen.
    Was macht ein vierzehnjähriger Junge, wenn er erfährt, daß er nur noch zwei Jahre zu leben hat? Springt er über die Reling ins Meer, hängt er sich auf, resigniert er oder versucht er sonstwie, sein Leiden zu verkürzen? Beißt er die Zähne zusammen, nimmt er den aussichtslosen Kampf gegen den Feind im eigenen Körper auf, wird er ein Held gegen sich selbst?
    Nichts von alledem wird er tun, dachte Baumann und schaute zu Volker hinauf. Der Wind riß an seinen blonden Haaren, die Jeanshose flatterte, die gelbe Windjacke glich einem aufgeblasenen Ballon. Der Junge stemmte sich gegen den Wind und befand sich schon mitten im Abenteuer der großen weiten Welt.
    Er wird es einfach nicht glauben. Nur wir Erwachsenen wickeln uns in unsere Krankheiten ein, dachte Baumann. Solange er noch fest auf seinen Beinen steht, ist es für ihn kein Problem. Und später, wenn er schlaffer und schlaffer wird, wenn die Milzschmerzen beginnen, die Lymphschwellungen und die Knochenmarkschmerzen auftreten, dann wird er vielleicht daliegen mit seinen großen blauen Augen und an ein Wunder glauben. Er wird nie aufhören zu hoffen, und er wird nie, wie zum Beispiel wir Erwachsenen, verzweifeln.
    Alex Baumann drehte sich um und starrte auf den Kai. Die Kräne waren jetzt eingezogen und zur Seite geschwenkt, die letzten Passagiere gingen über die Gangway an Bord. Ein Kühlwagen brachte noch Ware, die zurückbleibenden Verwandten und Bekannten bildeten ein buntes Menschengewimmel. Alle warteten jetzt darauf, daß die Trossen losgeworfen wurden, daß die Schiffssirene aufheulte und der weißlackierte hohe Stahlleib sich langsam, begleitet von den Lotsenbooten, in Bewegung setzte und den Hafen von Rotterdam verließ. Ein letztes Winken, ein langer Blick auf den kleiner werdenden Hafen, für manch einen ein Abschiednehmen auf immer. Ein merkwürdiges Gefühl ist das: nie wiederzukommen und ein ganzes Leben hinter sich zu lassen.
    »Darf ich heute abend Sie und Ihre Familie an den Kapitänstisch einladen?« fragte Ralf Thorndson. Baumann zuckte zusammen, die Minute eines bis jetzt unbekannten Heimwehs schwand dahin.
    »Danke. Gern.« Er lehnte sich gegen die Reling und vergrub die Hände in die Taschen seiner Jacke. »Ich möchte nur eins nicht, Kapitän: Mitleid!«
    »Das werden Sie von mir nicht hören!« Thorndsons tiefer Baß röhrte. »Im Gegenteil! Ich werde Ihnen klarmachen, daß es keine Paradiese mehr gibt!«
    Vor dem Abendessen – sie waren schon umgekleidet, Marga in einem schlichten Abendkleid, Alex im Smoking und Claudia in einem hautengen lustigen Fähnchen, das Baumann ›Das Futteral‹ nannte – war plötzlich Volker verschwunden. Er hatte gesagt, daß er vorausgehen wolle zum Promenadendeck, aber dort fand man ihn nicht, und die Deckstewards hatten ihn auch nicht gesehen. »Es fängt schon an!« sagte Baumann. »Vom Maschinenraum bis zu den Schornsteinen
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