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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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alles unter Wasser.»
    Vater reagierte nicht, hing wie gebannt am Bildschirm. Mutter nickte flüchtig und erkundigte sich, wie uns der aufgewärmte Eintopf geschmeckt habe.
    «Es war köstlich», sagte ich. «Ein guter Eintopf schmeckt aufgewärmt fast besser als frisch zubereitet.»
    «Er war auch heute Mittag vorzüglich», verteidigte Mutter sich.
    «Das habe ich doch nicht bezweifelt.»
    «Nur Rena hatte wieder zu nörgeln. Die Rippchen waren ihr zu fett. Sie hat nichts von dem Fleisch angerührt.»
    Und sonst kein Wort über Rena. Stattdessen wollte Mutter wissen, ob wir inzwischen erfahren hätten, wer am frühen Nachmittag bei dem Unfall ums Leben gekommen sei. Wo hätten wir das erfahren sollen?
    Vater griff nach der Fernbedienung, stellte den Ton wieder lauter und machte Jürgen darauf aufmerksam, dass es sich um eineSondersendung handelte. Ausschreitungen rechtsradikaler Jugendlicher. Ich sah ein paar Halbstarke mit kurz geschorenen Haaren über den Bildschirm marschieren, hörte sie johlen und brüllen, sah selbst gebastelte Brandsätze, dicke Knüppel und Vaters angespannte Miene.
    Als Jürgen sich aus dem Sessel erhob, um die Lautstärke am Gerät zu drosseln, stand ich ebenfalls auf und ging zur Tür. «Ich schaue mal, was Rena macht.»
    Und da erst sagte Mutter: «Sie ist noch nicht hier.»
     
    Im ersten Moment dachte ich, Rena sei nach dem Abendessen noch einmal zum Stall aufgebrochen. Mutter erklärte, sie sei nicht zum Essen erschienen.
    «Sie sollte um fünf zu Hause sein. Warum hat Vater sie nicht abgeholt? Ich hatte Anne aufgetragen, ihn darum zu bitten.»
    «Davon weiß ich nichts», sagte Mutter.
    Ich dachte, Anne hätte es vergessen, schaute zu Vater hin, er hatte nur Augen für das Geschehen auf dem Bildschirm. Dort zwang ein uniformierter Polizist einen martialisch aussehenden Jugendlichen zu Boden.
    Jürgen grinste und sagte: «Man sollte diese Idioten Asylantenquartiere schrubben lassen. Jedem einen Eimer Wasser und einen Wischlappen in die Hand, neben jedem ein stämmiger Bantu-Krieger mit einer Peitsche. Das wäre die richtige Methode.»
    Vater beachtete ihn nicht, saß vorgebeugt auf der Couch und lauschte mit gerunzelter Stirn dem Kommentator. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihn anzusprechen. Und es gab keinen Grund zur Besorgnis, nicht in dem Moment.
    «Dann wird es aber höchste Zeit, dass sie heimkommt», sagte ich, ging zum Telefon und wählte Hennessens Nummer. Die Leitung war frei, doch es hob niemand ab.
    Jürgen meinte: «Sie werden im Stall sein.» Und im Stall gab es kein Telefon.
    Ich setzte mich zurück in meinen Sessel. Vater stand auf und drehte den Fernsehton lauter. Um halb zehn versuchte ich es zum zweiten Mal. Wieder ohne Erfolg, diesmal hatte ich das Besetztzeichen in der Leitung. Und Jürgen sagte: «Sie meldet sich schon, wenn sie abgeholt werden will. Mit dem Rad kommt sie bestimmt nicht, da käme sie keine zehn Meter weit.»
    Und noch eine Viertelstunde. Um Viertel vor zehn flimmerte der Nachspann der Sondersendung über den Bildschirm. Die nachfolgenden Beiträge interessierten Vater nicht. Er ging hinauf, um Musik zu hören. Ich ging zum dritten Mal ans Telefon. Diesmal wurde sofort abgehoben. Hennessens Schwester war am Apparat. Hennessen war vierundfünfzig und nicht verheiratet. Seine Schwester schaute im Haushalt nach dem Rechten. Ich kannte sie flüchtig, wusste allerdings nicht, wie sie hieß. Ich fragte nach Rena und bekam zur Antwort: «Ach, die ist völlig verzweifelt. Der braune Teufel hat die junge Stute getreten. Sieht böse aus. Mein Bruder musste den Arzt rufen.»
    Der braune Teufel, das war Mattho, da musste ich nicht nachfragen. Ich dachte, mit der jungen Stute sei Bella gemeint. Und dann brauchte es wirklich keine Erklärung für Renas langes Ausbleiben. Ich bedankte mich für die Auskunft. Dass sie Rena ausrichten solle, wir würden sie gleich abholen, betonte ich nicht ausdrücklich. Ich dachte, das sei klar gewesen bei diesem Wolkenbruch und dem Sturm.
    Ich erklärte Jürgen die Situation mit ein paar Worten, war überzeugt, dass er sich sofort auf den Weg machen würde. Aber er sagte: «Um noch großartig für Mathe zu üben, ist es ohnehin schon zu spät. Warten wir noch fünf Minuten.»
    Warten! Ich hasse dieses Wort. Ich habe es schon als Kind gehasst. Wenn ich es höre, beginnt mein Herz zu rasen, meine Hände werden feucht. «Kannst du nicht warten, Vera?» Den Satz habe ich einmal zu oft gehört. Wenn ich hungrig war und Vater noch
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