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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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zweiten linken Box. Ich war erleichtert, sie zu sehen. Nicht auszudenken, wenn sie ernsthaft verletzt gewesen wäre. Das Drama vom Januar war mir noch in bester Erinnerung. Obwohl Rena kaum etwas mit Blacky zu tun gehabt hatte, war sie fast mit gestorben, als die Araberstute eingeschläfert werden musste.
    Ich rief nach Rena, und weiter hinten, wo das Licht brannte, richtete Hennessen sich auf. Er hatte in der letzten Box auf dem Boden gekniet, hob die Hand zum Gruß und rief: «’n Abend, Frau Zardiss. Moment, ich komm nach vorne.»
    Er wusste, dass ich Renas Liebe zu Pferden nicht teilte. Er verließ die Box und kam langsam auf mich zu, wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und streckte mir die Rechte entgegen. Nicht, um mich mit Handschlag zu begrüßen, das tat er nie. Ob er meinen Ruf nicht verstanden hatte, weiß ich nicht. Er schien zu glauben, ich käme, um Bella zu bezahlen.
    «War ’ne gute Entscheidung», sagte er, als er nahe genug war. «Mit Mattho hätten sie nicht so viel Glück gehabt. Da tritt mir das Biest doch der Fuchsstute in den Bauch. Sie will gar nicht aufstehen. Hoffentlich verliert sie das Fohlen nicht.»
    Dicht vor mir blieb er stehen. Er hatte Flecken auf seiner Hose. Ich konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, ob es Blut war oder nur Feuchtigkeit.
    «Ich will nur rasch Rena abholen», sagte ich.
    Er schaute mich verwundert an. «Was denn, ist die noch nicht zuHause? Na, ich hatte ihr geraten, durchs Dorf zu gehen. Aber da müsste sie Ihnen doch eigentlich in die Arme gelaufen sein.»
    Ich hatte keinen Zipfel von ihr gesehen. Hennessen kratzte sich am Kopf, meinte zweifelnd: «Ob sie denn doch durchs Feld ist? Kann ich mir nicht vorstellen.» Dann fiel ihm ein: «Sie ist bestimmt bei Udo reingesprungen.»
    Ich mochte mich nicht nach Udos Adresse erkundigen, hielt das auch für überflüssig. Udo war ein vernünftiger junger Mann, er hatte ein Auto und würde sie fahren. Ich fragte nur noch: «Seit wann ist sie weg?»
    Hennessen zuckte mit den Achseln. «Halbe Stunde ungefähr. Genau kann ich’s nicht sagen. Meine Schwester kam rein und sagte, Sie hätten angerufen. Da ist sie los. Ich hab noch zu ihr gesagt, warte lieber, es kommt bestimmt einer. Aber sie raffte ihre Sachen zusammen und war wie ein Wiesel zum Tor raus.»
    Ich verabschiedete mich.
    «Schönen Gruß an den Doktor», rief Hennessen mir nach. «Und fahren Sie bloß vorsichtig. Haben Sie schon gehört? Heute Mittag hat es Annegret Kuhlmann von der Straße gefegt. Sie hatte die Kinder im Auto. Tot, alle drei. Den Kuhlmann haben sie gleich wegbringen müssen. Aufhängen wollte er sich, als die Polizei kam. Meine Schwester hat es eben erzählt.»
    Annegret Kuhlmann! Die große, kräftige Frau beim Supermarkt. Ich sah sie vor mir, wie sie sich nach den davonrollenden Konservendosen bückte. Das Kindergesicht hinter der Scheibe im Auto. Das Blechknäuel im Feld und das blutige Bündel unter der Plastikplane. Für einen Moment würgte es mich. «Wir sind an der Unfallstelle vorbeigekommen. Aber ich wusste nicht, wer es war.»
    Hennessen nickte schwer. «Furchtbar, so was», meinte er und ging zurück zur letzten Box.
    Auf dem Heimweg fuhr ich noch langsamer und mit dem Gefühl, dass mir der Wagen davonschwamm. Ich hatte Angst, mit einem Rad in einen offenen Kanalschacht zu geraten. Es war schonhäufiger passiert, dass bei derart starkem Regen ein paar Deckel hochgedrückt worden waren. Ich fuhr wieder in der Straßenmitte. Deshalb weiß ich mit Sicherheit, dass mir auf der Heimfahrt kein Fahrzeug begegnete.
    Ich ließ die Senke, in der das Dorf liegt, hinter mir, fuhr ein wenig schneller die Anhöhe hinauf, rechnete damit, dass mir Udos Wagen entgegenkäme, bog nach rechts ab, die letzten vierhundert Meter bis zur Einfahrt. Nichts!
    Ich hatte keine Lust, noch einmal durch den Regen zu laufen, stellte den BMW vor der Haustür ab, sprang mit zwei Riesenschritten unter das Vordach und weiter in die Diele. Aus dem ersten Stock polterte mir ein Stück aus Wagners «Ring des Nibelungen» entgegen, Vaters Lieblingsmusik.
    Jürgen saß im Wohnzimmer bei einem Rémy Martin. Mutter war zu Bett gegangen, Anne noch nicht zurück. Und Jürgen wunderte sich, dass ich alleine kam. Ich sprach von Hennessens Vermutung, dass Rena zu Udo gelaufen sei.
    Jürgen sagte: «Dann soll Udo sie mal bringen. Es wird ja langsam Zeit.» Er telefonierte. Ich stand daneben, sah seiner Miene an, dass sein Gesprächspartner nicht eben freundlich Auskunft
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