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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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verließen.
    Am Donnerstagnachmittag war die Praxis von siebzehn bis neunzehn Uhr geöffnet. Es lagen neun Anmeldungen vor, zwei Frauen erschienen ohne Termin. Um halb sieben machte Jasmin Feierabend, eine Viertelstunde später stand Eva Kettler vor der Anmeldung. Sie trug eine hautenge schwarze Hose und einen weißen Pullover. Rippenstrick! Ihr Busen stach wie die Kinderzeichnung von zwei Berggipfeln ins Auge.
    Es macht mich noch immer wütend, wenn ich daran denke! Weil ich es noch so genau weiß und mich nicht erinnere, ob Rena beim Frühstück die weiße Haarspange oder ein Stirnband trug. Vielleicht ist es normal. Man lebt seinen gewohnten Trott, schenkt der Frisur der Tochter keine besondere Beachtung und ein aufreizender Fetzen an einer Frau, die man lieber von hinten sieht, prägt sich ein.
    Eva Kettler war zweiunddreißig und seit einigen Jahren wegen diffuser Beschwerden in Behandlung. Jürgen erzählte mir unentwegt, es sei psychisch bedingt. Ich hatte das Gefühl, sie kam aus Langeweile. Sie war eine von den Frauen, die nicht wissen, was sie mit sich und ihrer Zeit anfangen sollen. Der Ehemann viel unterwegs als Fernfahrer, keine Kinder, kein Beruf, und für teure Vergnügen reichte das Geld nicht.
    Ich mochte Eva Kettler nie. Sie hatte mir gegenüber eine Art! Es war immer dasselbe Theater. Ich habe nie darauf bestanden, von Patientinnen mit Frau Doktor angesprochen zu werden. Es ist nicht mein Titel, mir reichte «Frau Zardiss». Für Eva Kettler war ich das kleine Frauchen; eine Person, über die man geflissentlich hinwegsah.
    Zum Glück bekam ich sie nicht oft zu Gesicht. Jürgen wusste, dass ich mich nicht mit ihr auseinander setzen konnte, und hatte Jasmin angewiesen, Eva Kettler, wenn eben möglich, den späten Termin zu geben. Sie wollte ohnehin meist nur reden, da musste ich nicht dabeistehen.
    Sie wunderte sich, dass ich noch in der Praxis war. «Was denn? Muss das kleine Frauchen heute Überstunden machen?» Dann kam ihr Standardsatz: «Ich will den Doktor sprechen, persönlich und sofort!»
    Jürgen hatte noch zu tun. Eva Kettler setzte sich ins Wartezimmer. Als ich sie ein paar Minuten später rufen wollte, war sie verschwunden, ohne Erklärung.
    Kurz vor acht machten wir uns auf den Heimweg. Gut eine halbe Stunde später kamen wir an. Sonst brauchten wir nicht einmal zehn Minuten. Auf den zwanzig Metern von der Scheune zum Wohnhaus wurden wir beide völlig durchnässt. Jürgen blieb einen Moment in der Haustür stehen und schaute kopfschüttelnd zu den Stallungen hinüber. Auf dem Hof lagen die Stücke von zerbrochenen Dachziegeln. Das Stalldach war schon bei unserem Einzug schadhaft gewesen. Wir hatten uns bisher nicht darum gekümmert. Jetzt packte der Sturm die verbliebenen Ziegel und warf damit um sich.
    Wir mussten zuerst hinauf, uns umziehen und die Haare trocknen. Die Tür zu Renas Zimmer war geschlossen. Ich nahm an, dass sie seit fünf Uhr mit ihren Schularbeiten beschäftigt und wütend auf mich war. Immerhin hatte ich veranlasst, dass sie ihre Zeit mit der verhassten Mathematik statt mit den Pferden verbringen musste. Da wollte ich sie lieber nicht stören. Genauso gut könnte ich sagen, ich hatte keine Lust auf ihren gequälten Blick.
    Meine Eltern saßen im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Mutter teilte kurz mit, Anne sei um halb fünf von Patrick abgeholt worden. Sie hätte nicht sagen können, wann sie heimkäme. Mehr sagte Mutter nicht. Sie war noch ein wenig verstimmt, weil wirihren Gemüseeintopf mit geräucherten Schweinerippchen zu Mittag verschmäht hatten.
    Der Suppentopf stand im Kühlschrank. Er war noch zur Hälfte gefüllt. Oben hatte sich eine dicke Fettschicht abgesetzt, darunter schwammen ein paar Fleischstücke, jede Menge Porree, Bohnen, Kartoffeln, Sellerie und Möhren in der Brühe. Ich mag keine gekochten Möhren und Sellerie würgt mich. Ich schöpfte eine Portion für Jürgen aus dem Topf, fischte auch für mich ein wenig heraus, wärmte die Suppe rasch in der Mikrowelle auf – mehr Mutter zum Gefallen als aus Appetit. Wir blieben mit unseren Tellern in der Küche. Jürgen wollte noch einen Kaffee, die Tassen nahmen wir mit in das Wohnzimmer.
    Der Fernseher war zu laut eingestellt. Jürgen nahm die Fernbedienung vom Tisch und dämpfte den Ton. Dann streckte er sich im Sessel aus. Draußen war es bereits Nacht.
    «Schöne Sauerei», sagte er. «Der ganze Hof liegt voller Scherben. In nächster Zeit wird wohl nichts aus dem Pferdestall. Da steht jetzt bestimmt
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