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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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Frau, die nur das Ergebnis ihrer Mammographie erfahren wollte, und eine Schwangere, die für Ultraschall vorgemerkt war. Beide konnte ich übernehmen.
    An dem Donnerstag fuhren wir mittags nicht zur üblichen Zeit heim. Jürgen wurde in der Bank länger aufgehalten als vorhergesehen.Er kam erst kurz vor eins in die Praxis zurück, da hätten wir losfahren können. Doch inzwischen goss es wie aus Kübeln, und was draußen wehte, konnte man nicht mehr Wind nennen.
    Ich stand am Fenster im Sprechzimmer, als Jürgen hereinkam. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kam eine große, kräftige Frau aus dem Supermarkt und wollte zu ihrem Auto. Sie zog einen Einkaufswagen hinter sich her. Er war schwer beladen. Doch als sie ihn losließ, um die Autotür zu öffnen, trieb der Sturm ihn weg. Er rollte gegen einen Stein und kippte um. Konserven und andere Lebensmittel kullerten und flogen in alle Richtungen davon.
    «Sieh dir das an», sagte ich.
    «Muss ich mir nicht ansehen. Ich war gerade drin.»
    Ans Fenster kam er doch. Wir schauten zu, wie die Frau sich abmühte, ihre Waren aufzusammeln und im Auto zu verstauen.
    «Das ist Annegret Kuhlmann», sagte Jürgen. «Ihre Einkäufe hätte sie besser auf morgen verschoben. Bei dem Wetter fährt man doch nicht freiwillig los. Und ihre Kinder hat sie auch dabei.»
    Er schüttelte verständnislos den Kopf. Ich sah eins der kleinen Gesichter für einen Moment hinter der Scheibe im Auto.
    Jürgen sagte: «Wir warten, bis es nachlässt.» Es ließ nicht nach.
    Kurz nach zwei machten wir uns trotzdem auf den Weg. In der Stadt ging es noch. Doch sobald wir auf der Landstraße waren, hatte Jürgen Mühe, den Wagen unter Kontrolle zu halten.
    Auf freier Strecke hatte es einen schweren Unfall gegeben. Ein Auto lag auf dem Dach im Feld. Es musste sich mehrfach überschlagen haben, war so zerdrückt und verdreckt, dass ich nicht erkennen konnte, um welchen Typ es sich handelte oder welche Farbe es hatte.
    Polizei und Feuerwehr waren da und hatten schon zwei der Insassen geborgen. Am Straßenrand lagen die in Plastikplanen gewickelten Bündel. Die Planen flatterten hin und her. Als wir vorbeifuhren, löste sich eine zur Hälfte und gab den Blick auf eine völlig deformierte, blutige Masse frei.
    Wir waren erleichtert, als wir endlich auf dem Hof eintrafen. Mutter war verstimmt, weil wir so spät kamen. «Jetzt muss ich das Essen aufwärmen.»
    «Lass nur», sagte ich. Uns war der Appetit vergangen. Ich erzählte Mutter von dem Unfall. Sie spekulierte, ob es sich um jemanden aus dem Dorf handelte. Danach beschäftigte sie sich mit den Pflanzen im Wintergarten. Vater hatte sich nach dem Essen hingelegt. Das tat er regelmäßig. Er schlief nachts nicht mehr gut und holte tagsüber gerne ein Stündchen nach.
    Anne war in ihrem Zimmer. Von ihr hörte ich, dass Rena sich kaum die Zeit zum Essen genommen hatte und gut zehn Minuten vor unserer Ankunft zum Reitstall aufgebrochen war. Mit dem Rad!
    «Ist sie denn verrückt», sagte ich. «Sie kann doch unmöglich mit dem Rad fahren bei dem Wetter. Warum hat sie nicht gewartet oder sich nicht von Großvater fahren lassen?»
    «Großmutter wollte nicht, dass sie fuhr», erklärte Anne. «Und du weißt ja, wie sie ist. Sie hat sich ihr Regencape geschnappt und trockene Sachen zum Umziehen mitgenommen.»
    Wann sie zurück sein oder ob sie abgeholt werden wollte, hatte Rena nicht gesagt. Stattdessen hatte sie Anne im Bus anvertraut, morgen sei sie krank. «Sie schreiben morgen eine Arbeit», sagte Anne. «Mathe. Da kommt ihr ein tüchtiger Schnupfen bestimmt gelegen.»
    Mathematik war Renas wunder Punkt. Im letzten Zeugnis hatte es nur zu einer schwachen Vier gereicht. Ob sie die halten konnte, war noch die Frage. Die Anforderungen wurden höher. Anne bereitete sich auf ihr Abitur vor und hatte nicht immer Zeit zu helfen. Ich hatte bereits an Nachhilfeunterricht gedacht. Aber Jürgen meinte, es könne nicht jeder ein Genie sein und ein wiederholtes Schuljahr sei kein Grund, sich graue Haare wachsen zu lassen. Sogar Einstein sei einmal sitzen geblieben.
    Ich sagte zu Anne: «Großvater soll sie um fünf abholen. Auf dieWeise ersparen wir ihr den Schnupfen und sie kann noch ein bisschen üben.»
    Anne nickte. «Ich sag’s ihm, wenn er aufsteht.»
    Ich konnte es ihm nicht sagen. Wir mussten zurück in die Praxis. Jürgen bestand darauf, dass wir früher als üblich losfuhren und dass ich meinen Wagen stehen ließ. Vater schlief noch, als wir das Haus
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