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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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schüttelte den Kopf. «Bekifft kommt eher hin. Eine Fahne hatte sie nicht.»
    Rena musste Nitas Stimme gehört haben, aber sie nahm das unschöne Intermezzo nicht zur Kenntnis. Sie saß mit Udo, Horst, Armin, Katrin, Tanja und Ilona in einer Ecke und spekulierte über ihr Geburtstagsgeschenk. Wir hatten keinen Ton darüber verlauten lassen. Aber sie wusste genau, dass sich am nächsten Morgen ihr Herzenswunsch erfüllen sollte. Ein eigenes Pferd.
    Nicht ihren Liebling Mattho. Das war uns zu riskant erschienen. Ein junger Hengst im besten Flegelalter, unberechenbar, wenn ihn der Hafer stach, wie Hennessen, der Besitzer des Reitstalls, es ausdrückte. Hennessen hatte uns gestanden, dass sogar er manchmal Blut und Wasser schwitzte, wenn Rena sich in Matthos Sattel schwang.
    «Er hat seine Macken, der Kerl. Mit ihm ist nicht jeden Tag gut Kirschen essen. Wenn er die Augen verdreht, weiß ich Bescheid.» Hennessen hatte uns eine Stute empfohlen, braun wie Mattho, doppelt so alt wie er, im Gegensatz zu ihm jedoch sanft wie ein Lamm. Wir hatten mit Hennessen vereinbart, dass er das Tier früh am Sonntagmorgen auf den Hof brachte. Er sollte es in der Scheune anbinden, nur für ein paar Stunden.
    Wir konnten die Stute noch nicht dauernd auf dem Hof unterbringen. Die Stallungen waren in sehr schlechtem Zustand. Ursprünglich hatten wir sie abreißen lassen wollen. Deshalb waren sie nicht zusammen mit dem Wohnhaus und der Scheune renoviert worden, als wir den Hof kauften. Nun hatten wir uns entschlossen, auch das Gebäude instand setzen zu lassen. Dann hatte Rena ihren Traum in der Nähe und konnte, wenn sie Lust hatte, schon in aller Herrgottsfrühe lospreschen.
    Ich stellte mir vor, wie sie mit roten Wangen am Frühstückstisch saß, das lange Haar noch feucht von der Dusche, wie sie mittags aus der Schule kam. Wie ihr erster Weg sie in den Stall führte. Wie sie mit Sattel und Zaumzeug hantierte, braunes Fell striegelte, Heuballen schleppte und restlos glücklich war. Das war sie!
     
    Beim Frühstück am Sonntagmorgen zappelte sie herum, nahm sich kaum die Zeit, Annes Geschenk auszupacken. Ein Paar neue Stiefel. Anne war besorgt, ob sie auch richtig passten. Rena zwängte die Füße hinein und alles war bestens. Von meinen Eltern bekam sie einen Sattel. Damit stand fest, was wir ihr zugedacht hatten. Sie hatte uns schließlich oft genug erklärt, dass es nichtso war, wie wir es aus alten Wildwestfilmen kannten. In Hennessens Stall gehörte der Sattel zum Pferd, nicht zum Reiter. Rena wollte auf der Stelle hinaus. «Wo ist er? Wo habt ihr ihn versteckt?»
    «Nun mal langsam», sagte Jürgen. «Wir können sicher zuerst in Ruhe frühstücken. Ich fürchte, später kommen wir nicht mehr dazu. Du hältst es doch bestimmt noch so lange aus, bis wir alle unseren Kaffee getrunken haben. Dann gehen wir zusammen hinaus und haben alle was davon.»
    Sie gab sich große Mühe, geduldig zu sein. Aber die obligatorische Zigarette ihres Großvaters nach dem Frühstück konnte sie nicht abwarten. Sie stürmte auf den Hof, blinzelte ins grelle Licht, schaute mit zusammengekniffenen Augen zur Scheune hinüber. Dann lief sie los, zerrte das Tor zur Seite, verschwand im Dämmerlicht. Ich höre sie noch heute rufen: «Mattho! Mein Mattho!»
    Jürgen war dicht hinter ihr. «Sie heißt Isabella», sagte er. «Aber sie ist daran gewöhnt, dass man sie Bella nennt.» Er lachte leise. «Wem sage ich das? Du kennst sie doch besser als ich.»
    Rena war stehen geblieben, als er zu sprechen anfing. Sie drehte sich zu ihm um. «Aber Hennessen sagte, Mattho ist verkauft. Er wollte mir nicht sagen, wer ihn gekauft hat. Und da dachte ich   …»
    Sie brach ab. Jürgen vollendete den Satz: «Da dachtest du, wir hätten den braunen Teufel für dich gekauft. Weil wir ganz wild darauf sind, unsere Namen auf ein Gipsbein zu schreiben. Wenn es beim Gipsbein bleibt.»
    «Er hat mich noch nie abgeworfen.»
    «Einmal ist immer das erste Mal», sagte Jürgen und ging auf die Stute zu. «Und bisher war Hennessen in der Nähe. Hier ist niemand, der eingreifen könnte, wenn das Biest mit dir durchgeht.» Er tätschelte den Hals der Stute und forderte: «Na, komm her und begrüße sie. Ist sie nicht hübsch?»
    Rena ging die paar Schritte. «Doch», sagte sie. Sehr begeistert klang es nicht.
    «Und was sagt man zu einem hübschen Geschenk?», fragte Jürgen.
    «Danke», sagte Rena.
    Es war ein paar Minuten nach zehn, als sie der Stute den Sattel auflegte und losritt.
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