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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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Rena das Dasein nur noch um Pferde. Und Mattho, inzwischen ein stattlicher Zweijähriger mit den typischen Unarten halbstarker Kraftprotze, war ihr wichtiger als jede Verabredung mit Gleichaltrigen. Hin und wieder durfte sie ihn reiten, sie empfand das als besondere Auszeichnung. Mattho solltezum Turnierpferd ausgebildet werden, wenn er das richtige Alter erreicht hatte. Es hieß, er werde bald verkauft.
    Als wir aus dem Urlaub zurückkamen, musste Rena sich sofort überzeugen, dass er noch im Stall stand. Erst danach konnte sie ihren Koffer auspacken. Und so sehe ich sie noch vor mir: wie sie einen Teil der Kleidungsstücke zur Seite legte und ein paar Sachen zurück in den Schrank hängen wollte. «Das habe ich nicht angehabt.»
    «Leg es trotzdem zur Schmutzwäsche.»
    «Aber die Sachen sind völlig in Ordnung, Mutti.»
    «Sie riechen nicht mehr gut.»
    Sie drückte ihre Nase in ein weißes Shirt und schnüffelte am Stoff. «Ich rieche nichts.»
    Sie selbst roch nach Stall, nach Pferd. Dieser typische Geruch, der Mutter oft zu einem Naserümpfen veranlasste und zu der Bemerkung: «Wie oft ist dir schon gesagt worden, du sollst duschen, bevor du an den Tisch kommst!?»
    «Geh unter die Dusche», sagte ich. «Ich mache das hier für dich.»
    Sie schaute mich an – mit diesem Betteln im Blick. «Lieb von dir. Aber wenn du es machst, darf ich dann vielleicht nochmal? Bitte, Mutti! Du glaubst nicht, wie Mattho sich gefreut hat, als er mich sah. Nur eine halbe Stunde, Mutti, bitte, bitte, bitte.»
    Sie schlug die Hände aneinander wie ein Baby, während sie mich anschmachtete. Schmollmund und Kulleraugen. Das lange blonde Haar im Nacken mit einer Spange gehalten. Sie war ein so hübsches Mädchen.
     
    Gut vier Wochen später, am ersten Sonntag im September, feierten wir ihren Geburtstag im Kreis der Familie. Die turbulente Party mit Freunden hatten wir meinen Eltern zuliebe um einen Tag verlegt und Mutter die Vorbereitungen mit zwei Konzertkarten versüßt. Obwohl, so turbulent war es nicht.
    Jürgen und ich waren mehrfach unten und saßen für eine Weiledabei. Nicht unentwegt, wir wollten nicht den Eindruck von Kontrolle erwecken. Es war auch keine Kontrolle nötig. Es war nett und friedlich. Ich weiß noch, dass ich dachte, wir hätten uns die Konzertkarten sparen sollen. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Mutter zu überzeugen, dass sie nicht immer in allem Recht hatte.
    In Mutters Augen machten junge Leute grundsätzlich Lärm und Schmutz, verbreiteten Unordnung, kannten keine Rücksicht, waren für keinen gut gemeinten Rat zugänglich. Und wenn sie in Scharen auftraten, schlug Mutter drei Kreuzzeichen.
    Nichts gegen Annes Freund, wenn er am Sonntagnachmittag mit am Kaffeetisch saß. Patrick Urban wusste, was sich gehört. Er bedankte sich für das Stück Stachelbeer-Baiser-Torte und sang anschließend ein Loblied auf Mutters hausfrauliche Qualitäten.
    Aber eine Party, ein halbes Dutzend von diesen Quälgeistern! Und keiner weiß die Mühe zu schätzen, die es gekostet hat, die Salate anzurichten! Keiner hat ein Auge für die liebevolle Garnierung. Sie stopfen sich das achtlos in den Mund und lassen sich das Hirn vernebeln von konfuser Musik.
    Zu dieser Ansicht war Mutter nicht erst gelangt, seit sie mit ihren Enkeltöchtern unter einem Dach lebte. Als ich in Renas Alter war, wäre eine Party mit Freunden unmöglich gewesen. Die Beatles oder die Stones? Völlig ausgeschlossen! Ich habe niemals Rock ’n’ Roll tanzen gelernt, auch nie Twist. Ich kann Walzer, Foxtrott und ein paar andere Gesellschaftstänze.
    Nebensächlichkeiten. Alles ist nebensächlich. Aber es ist auch alles wichtig geworden. Jede Kleinigkeit, jedes noch so winzige Detail könnte eine Antwort geben.
    Wir hatten Rena erlaubt einzuladen, wen sie wollte. Der Kontakt zu ihren früheren Freunden war abgebrochen. Nicht völlig, das wusste ich. Sieben Jugendliche waren es gewesen, drei Jungs, vier Mädchen. Alle waren sie ein, zwei oder sogar drei Jahre älter als Rena. Den Zugang zu dieser Clique hatte sie durch Nita Kolter bekommen.
    Wie Anne und Rena besuchte auch Nita Kolter das Humboldt-Gymnasium. Sie war einmal nicht versetzt worden und für eine Weile in Renas Klasse aufgetaucht. Da war sie dreizehn gewesen und für Rena nichts weiter als eine neue Mitschülerin, die sie bereits flüchtig vom Sehen kannte. Besonders auffällig kann Nita zu dieser Zeit nicht gewesen sein. Aber es begann bald. Und es dauerte nicht lange, da bestand die
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