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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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Dort saß Anne mit einem Buch und einer Tasse Tee. Und auf dem Tisch stand die kleine Dose mit Annes Süßstofftabletten. Einer der Jungen nahm die Dose und drückte die Tabletten heraus. Drückte sie einfach heraus, eine nach der anderen, ließ sie auf den Boden fallen und zertrat sie.
    Ich war, nachdem ich sie hereingelassen hatte, zurück ins Schlafzimmer gegangen, telefonierte mit meinem Vater und hörte Anne fragen: «Aber sonst geht’s dir gut, ja?»
    Sie bekam keine Antwort. Ich hörte nur ein Kichern   – Nita amüsierte sich – und nach ein paar Sekunden wieder Annes Stimme: «Jetzt reicht’s. Stell die Dose zurück auf den Tisch, du Idiot.»
    Ich ging hinüber, um zu sehen, was los war. Doch ich kam nicht dazu, etwas zu unternehmen. Genau in dem Augenblick, als ich das Wohnzimmer betrat und etwas sagen wollte, kam Rena aus ihrem Zimmer. Sie war mit ihrer Schularbeit fertig und innerhalb weniger Sekunden waren sie verschwunden. Zurück blieben die zertretenen Krümel auf dem Fußboden. Es war sinnlos und überflüssig. Es war Ablehnung, eine Demonstration von Anderssein.
    Dass Rena ihre alte Clique eingeladen hatte, glaubte ich nicht eine Sekunde lang. Sie hatte, als Mutter wissen wollte, ob sie zwei oder drei Salate machen sollte, gesagt: «Mach nicht zu viel, Großmutter. Ein Salat reicht schon für ein paar Leute. Wir haben ja auch Chips und Nüsse und all den anderen Kram. Ich meine, die Fleischplatte und die Fischplatte und den Käse.» Nita musste in der Schule von Renas Party gehört und mit den anderen darüber gesprochen haben.
    Wir saßen im Wohnzimmer, Jürgen und ich. Als es klingelte, ging ich zur Tür, öffnete und sah Nitas weiß gepudertes Gesicht mit den rot umrandeten Augen vor mir. Sie trug einen schwarzen Schlapphut und einen langen schwarzen Umhang, sah damit aus wie ein Vampir, es fehlte nur das Plastikgebiss mit den entsprechenden Zähnen.
    Neben ihr stand der, den Anne einmal Idiot genannt hatte. Er hatte einen Arm um Nitas Taille gelegt, etliche dünne Goldringe durch Ohrmuscheln, Nasenflügel und Augenbrauen gezogen. Die anderen fünf standen mit teils gelangweilten, teils gespannten Mienen im Halbkreis hinter ihrer Anführerin.
    Mir schien, Nita hatte getrunken. Sie schwankte, ihre Sprache klang verwaschen. «Überraschung, Überraschung!», nuschelte sie. «Das ist eine Freude, was? Jetzt kommt Schwung in die Bude!»
    Ihre Stimme brachte Jürgen in die Diele. «Ihr habt euch sicher verfahren», meinte er. «Also passt mal auf, ihr fahrt jetzt runter bis zur Landstraße und biegt nach rechts ab. So kommt ihr am schnellsten zurück in die Stadt. Da habt ihr garantiert mehr Möglichkeiten, auf eure Kosten zu kommen, als hier.»
    Nita grinste ihn an. «Wir wollen nur gratulieren!»
    «Hier ist niemand, der Wert darauf legt», sagte Jürgen.
    Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da drehte sich einer der Jungen hinter Nita um und ging zu einem der beiden Wagen, mit denen sie gekommen waren. Er öffnete die Fahrertür und rief: «Jetzt lasst den Quatsch und kommt!» Den Worten und seinerMiene nach zu schließen, war ihm Nitas Auftritt peinlich. Er distanzierte sich, sah auch nur halb so schrill aus wie die anderen. Niemand beachtete ihn.
    Nita grinste weiter, reckte sich auf Zehenspitzen und spähte über Jürgens Schulter in die Diele. «Hey, Pferdchen», rief sie. «Du hast vergessen, deinen Türsteher zu informieren, dass noch Ehrengäste kommen.»
    «Es reicht», sagte Jürgen ruhig. «Verzieht euch.»
    Der Junge stieg in den Wagen und fuhr davon. Nita und ihr restlicher Anhang beachteten weder seine Abfahrt noch Jürgen. «Hey, Pferdchen», rief sie noch einmal. «Was treibst du? Lässt du dich schon mal einreiten?»
    Ein paar grinsten. In Jürgens Miene regte sich nichts. Ohne ein Wort schloss er die Haustür und ging zurück in das Wohnzimmer. Ich ging in die Küche. Vom Fenster aus sah ich, dass sie noch sekundenlang unschlüssig zusammenstanden. Nita gab neue Anweisungen, dann setzte sie sich in Bewegung. Sie torkelte. Der mit den Goldringen fasste sie wieder um die Taille.
    Von dem Jungen und seinem Auto war nichts mehr zu sehen. Sie zwängten sich zu sechst in den zweiten Wagen und verschwanden wieder. Es wunderte mich, ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie kampflos das Feld räumten. Es passte nicht zu Nita, sich die Tür vor der Nase schließen zu lassen. Ich ging ebenfalls zurück ins Wohnzimmer.
    «Ich glaube, sie war betrunken», sagte ich.
    Jürgen
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