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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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Klassenlehrerin darauf, dass Nita in die Parallelklasse überstellt wurde.
    Sie war ein überaus schwieriges Mädchen, ohne Vater aufgewachsen. Ihre Mutter inserierte in diversen Zeitungen unter der Rubrik «Begleitung».
    Irgendeiner aus unserem Bekanntenkreis war einmal über solch eine Annonce gestolpert. Es stand sogar die Adresse dabei. Für die Männer war das ein Anlass zum Schmunzeln. Jürgen sagte: «Sieh an, ein Privatpuff in unserer kleinen sauberen Stadt. Haben wir überhaupt Bedarf für so etwas?»
    Hatten wir wohl. Schlecht verdienen konnte Regina Kolter mit ihren Begleitungen nicht. Sie hatte sich eine der sündhaft teuren Eigentumswohnungen auf dem Gelände des ehemaligen Verladebahnhofs zugelegt, fuhr ein Mercedes-Coupé 350   SL, hüllte sich von Herbstbeginn bis Frühlingsanfang in diverse Pelze. Kurz und gut, sie tat alles, um dem Klischeebild einer Edelnutte zu entsprechen.
    Auf Nita hatte der Lebensstil ihrer Mutter eine verheerende Wirkung. Sie trieb sich herum, suchte bei den unmöglichsten Figuren Bestätigung und Anschluss. Mit ihrem losen Mundwerk und ihrer schrillen Art hatte sie Rena eine Weile imponiert. Damit war es seit dem Umzug vorbei. Es ließ sich zwar nicht verhindern, dass sie in den Pausen auf dem Schulhof zusammentrafen, doch nicht einmal darauf schien Rena noch Wert zu legen. Manchmal hörte ich von Anne, dass Nita wieder einmal den Versuch unternommen hatte, Rena zu einem Nachmittag in der Stadt zu bewegen. Aber ich hörte es nur von Anne. Und es klang immer so, als seies Rena lästig und unangenehm gewesen, sich – und sei es nur für ein paar Minuten – mit Nita auseinander zu setzen.
    Durch den Reitstall hatte sie neue Bekanntschaften geschlossen. Udo, Armin, Horst, Katrin, Tanja, Ilona – für mich waren es lange Zeit nur Namen. Ich kannte ihre Gesichter nicht, wusste nicht, wie alt sie waren. Ich hörte nur, dass Udo der Sohn eines Landwirtes aus dem Dorf und Ilona die Tochter eines Rechtsanwaltes aus der Stadt war. Dass Katrin ein eigenes Pferd besaß, dass Horst furchtbar gelitten hatte, als Blacky sterben musste, dass er seitdem viel lieber Tierarzt als Steuerberater werden wollte. Dass Tanja neuerdings eine Zahnspange tragen musste und Armin eine Brille. An dem Samstagabend lernte ich sie endlich kennen.
    Die drei Mädchen waren jünger als Rena, die drei Männer   – Jungen waren es nicht mehr – älter. Udo schon Ende zwanzig, ein wahres Kraftpaket, gut eins neunzig groß und muskulös. Man sah ihm an, dass er gewohnt war, fest zuzupacken. Er war ein bodenständiger Typ, etwas wortkarg und verschlossen, aber sympathisch.
    Horst war ein schmächtiges Kerlchen mit blassem, rundem Kindergesicht und dünnem rotem Haar. Ich schätzte ihn in Renas Alter und war erstaunt zu erfahren, dass auch er die zwanzig bereits überschritten hatte. Später erfuhr ich, dass er mit vierzehn Jahren an Leukämie erkrankt war. Er hatte die Krankheit überwunden, doch sie hatte seine Entwicklung stark beeinträchtigt. Mir fiel auf, dass er in rührender Weise um Rena bemüht war. Sein Verhalten hatte etwas naiv Schwärmerisches, als ob er ein Idol anhimmele, von dem er wusste, es war unerreichbar für ihn. Horst war ein lieber Kerl, abgeklärt und weise wie ein alter Mann.
    Auch Armin hatte mit seinen achtzehn Jahren nichts von dem Gehabe, das viele Gleichaltrige an den Tag legen. Ich konnte ihn mir eher mit einem dicken Wälzer am Schreibtisch als auf einem Pferderücken vorstellen. Ein intelligenter junger Mann mit einem Faible für Paläontologie. Jürgen hatte seine helle Freude an ihm.Sie unterhielten sich lange. Von Jürgen hörte ich auch, dass ich mit meiner Vorstellung vom dicken Wälzer der Wahrheit sehr nahe gekommen war. Armins Vater hatte die Reitstunden zwangsverordnet, um den Sohn wenigstens stundenweise vom Schreibtisch fern zu halten.
    Ich war erstaunt, als kurz vor neun noch einmal die Türklingel anschlug. Und begeistert war ich nicht, als ich sah, wer vor der Tür stand: Nita Kolter nebst Anhang. Genauso schrill und aufdringlich, wie ich sie im Gedächtnis hatte. Und wie früher nur darauf aus zu schockieren.
    Ich erinnere mich an eine Gelegenheit; wir lebten noch in der Stadtwohnung. Da kamen an einem Nachmittag einige aus der Gruppe, um Rena abzuholen. Zwei Jungen und Nita. Rena war in ihrem Zimmer. Sie musste noch eine Arbeit für die Schule erledigen. Ich wollte, dass sie das in Ruhe tat, und bat die drei, für ein paar Minuten im Wohnzimmer Platz zu nehmen.
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