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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia
Autoren: Kerstin Gier
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viel übrig, und außerdem versuchten sie Nelly ständig einzureden, dass sie mein genaues Ebenbild sei.
    »Wirklich, ganz genau wie Constanze in dem Alter«, sagten sie. Mädchen hören so etwas nicht gerne. Ich möchte meiner Mutter auch heute noch so wenig ähnlich wie nur möglich sein.
    Nelly hatte zu allem Überfluss meine Konfirmandenfotos gefunden - ich als Vierzehnjährige mit hängenden Schultern, Nickelbrille und Collegeschuhen in Größe einundvierzigeinhalb - und war darüber in Tränen ausgebrochen. »Und so soll ich aussehen?«, heulte sie.
    »Aber nein, mein Schatz«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Du hast nur die guten Seiten von mir geerbt.«
    »Was denn für gute Seiten?«, heulte Nelly unhöflich.
    Während meine Tochter also froh war, endlich zurück nach Köln fahren zu dürfen, blieb Julius und mir nichts anderes übrig, als auf Pellworm auszuharren, bis die verdammte Heizung endlich eingebaut war.
    Immerhin war Julius gern hier, er war ja ein Junge, und Jungs mochten meine Eltern, und die frische Nordseeluft tat uns beiden gut. Wir sammelten kiloweise Muscheln und waren, ungeachtet des Wetters, sehr viel draußen, nicht zuletzt, um meinen Eltern aus dem Weg zu gehen. Es war nicht leicht für mich, so lange mit ihnen zusammen zu sein, sie hatten so eine ganz bestimmte Art und Weise, mir zu verstehen zu geben, was sie von mir hielten: nämlich nichts. Meine Mutter ließ keinen Tag verstreichen, ohne nicht mindestens einmal gesagt zu haben: »Wenn du doch wenigstens auf uns gehört und dir zwischendurch mal Arbeit gesucht hättest! All die Jahre nur auf der faulen Haut liegen! Das konnte doch nicht gut gehen. Jetzt stehst du da - ohne Mann und ohne Beruf!«
    »Und mit einem Haufen hungriger Blagen«, pflegte mein Vater dann hinzuzufügen, so, als ob ich mindestens vierzehn Kinder hätte, die alle für eine warme Mahlzeit betteln gehen mussten.
    Es gab keinen Weinkeller, in dem ich Trost suchen konnte, und für den selbst gemachten »Aufgesetzten« aus schwarzen Johannisbeeren, den meine Mutter seit Jahrzehnten einlagerte, war ich dann doch noch nicht unglücklich genug. Überdies regnete es viel. So war ich am Ende wirklich froh, als Lorenz anriefund sagte: »Freu dich: Die Heizung ist fertig, alles so weit vorbereitet, und Julius hat den Not-Kindergartenplatz in der Villa Kunterbunt bekommen! Ihr könnt nach Hause kommen.«
    Fehlte nur noch, dass er sagte, dass er von seinem Gehirntumor geheilt sei, und ich hätte vor Freude gejuchzt.
    Nun, jedenfalls waren wir jetzt endlich wieder zu Hause.
    Ich wuchtete den schweren Koffer auf die Steinstufen vor die Haustür und atmete tief durch. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Bärtige aus der Wohnung über uns kam heraus. Als er mich erkannte, hatte er es plötzlich so eilig, dass er grußlos über den Koffer stolperte und davonhastete.
    »Nett, Sie mal wieder zu sehen«, sagte ich, aber da hatte der Bärtige schon die Flucht ergriffen, ganz so, als wäre ein Irrer mit einem gezückten Messer hinter ihm her gewesen. Wahrscheinlich dachte er, ich wäre aus der geschlossenen Anstalt ausgebrochen, in der ich die letzten sieben Wochen verbracht hatte. Dabei hatte ich dieses Mal Schuhe an, sogar welche von »Gucci«.
    »Ich will ins Bett«, sagte Julius. Er war jämmerlich blass, und ich beeilte mich, die Haustür aufzuschließen, die der Bärtige so gedankenlos ins Schloss hatte fallen lassen.
    Nur dummerweise ließ sich die Haustür nicht aufschließen. Der Schlüssel passte gar nicht richtig ins Schloss.
    Ich klingelte.
    »Ja, bitte?« Das war die Stimme von Nelly, die ziemlich mürrisch durch die Sprechanlage klang.
    »Nelly-Schatz, wir sind da!«, flötete ich. »Aber irgendwas stimmt mit dem Türschloss nicht, es muss einer runterkommen und uns aufmachen.«
    Jetzt tönte die Stimme meines Noch-Ehemannes durch die Sprechanlage. »Warte, wir sind gleich fertig.«
    »Womit denn?«
    Aber es knackte nur noch in der Leitung. »Gleich sind wir im Warmen«, sagte ich zu Julius. »Du warst sehr tapfer. Ich erzähle dir nachher auch die Geschichte vonGoldlöckchen, wie es einmal mit dem Zug gefahren ist und ihm schlecht wurde.«
    Ich hörte Schritte im Treppenhaus, dann öffnete Lorenz die Haustür, gesund und munter. Er sah sogar noch besser aus als sonst, irgendwie sonnengebräunt. Die Gehirntumortheorie konnte ich jetzt wohl getrost fallen lassen. Dieser Mann war nicht krank!
    Immerhin lächelte er mich an. Ungefähr so herzlich wie man
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