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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia
Autoren: Kerstin Gier
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griff routiniert durch den Spalt, öffnete den anderen Flügel und kletterte hinein. Ich war stolz auf mich: Weder die Lasagne noch Julius waren zu Schaden gekommen.
    Als ich Lorenz am Abend die Geschichte schildern wollte, wusste er schon Bescheid. Der Bärtige hatte ihn nämlich im Treppenhaus abgefangen und sich nach den Psychopharmaka erkundigt, die ich einnehmen müsse. Und sich darüber beschwert, dass der Vermieter ihm vorher nichts von mir erzählt habe. Offenbar witterte er eine Chance auf Mietminderung. Meinetwegen! Als ob ich gemeingefährlich sei! Lorenz war das schrecklich peinlich gewesen. An diesem Abend hatte er dann auch diesen beleidigenden Satz von sich gegeben, von wegen, ich sei das am schlechtesten organisierte, lebensuntüchtigste Weibsstück, das er kenne. Außerdem sei ich leichtsinnig und unverantwortlich und Barfußlaufen eine bäuerliche Unsitte.
    Aber er würde sich doch wohl kaum scheiden lassen wollen, weil ich barfuß herumlief oder?
    »Hast du eine andere?«, wiederholte ich mit wackeliger Stimme.
    »Nei-in!«, sagte Lorenz mit Nachdruck.
    Ich wusste nicht weiter, also fing ich an zu heulen, weniger aus Kummer, mehr aus Hilflosigkeit. Und weil ich nicht mehr aufhören konnte zu weinen, erbarmte sich Lorenz endlich und versuchte, seine Entscheidung zu erklären.
    Er sagte, dass sich seine Gefühle für mich geändert hätten, das sei alles. Dass unser Potenzial einfach erschöpft sei, wir uns gemeinsam nicht mehr weiterentwickeln könnten. Und dass wir noch zu jung seien, um eine Ehe ohne Gefühle zu fuhren. Und dass ich, wenn ich ganz tief in mich hineinhören würde, ebenfalls zu dieser Erkenntnis gelangen würde.
    In den folgenden Wochen gab ich mir große Mühe, tief in mich hineinzuhören und nach dieser Erkenntnis zu suchen, während Lorenz bereits tatkräftig an der Umsetzung seiner Plänearbeitete. Wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte, gab es kein Zurück mehr. Er erklärte den Kindern, dass Mami und Papi einander noch sehr lieb hätten, aber nicht mehr lieb genug, um zusammen zu wohnen. Und dass Papi deswegen jetzt erst mal im Gästezimmer schlafen müsse. Aber das Haus von der Omi, das sei schrecklich traurig, weil es doch leer stünde, und deshalb würden sie, die Kinder, mit der Mami, also mir, dort einziehen, sobald die Heizung repariert sei. Dann wäre das Haus wieder froh, und der Papi müsse nicht mehr im Gästezimmer schlafen. Und im Garten von Omis Haus könne man eine wunderschöne Schaukel aufbauen und einen Sandkasten, und Papi würde ganz oft dort vorbeikommen und sie besuchen. Und sie könnten jederzeit zu Papi kommen, um ihn zu besuchen, und alles würde ganz, ganz toll funktionieren.
    Julius leuchtete das alles auch völlig ein, er stellte keine weiteren Fragen und war ausgeglichen und fröhlich wie immer. Aber Nelly war keine vier mehr, sondern fast vierzehn, und sie fand Lorenz' Erklärungen ausgesprochen fadenscheinig. Außerdem war sie mit Schaukeln und Sandkästen nicht mehr zu ködern. Gemeinerweise gab sie die Schuld an dem Schlamassel aber allein mir.
    »Ich lass mich doch nicht von euch verarschen«, sagte sie. »Was hast du getan?«
    Nichts. Ich hatte nichts getan, absolut nichts. Vielleicht war das ja zu wenig gewesen?
    »Ich will nicht in Omis Haus ziehen, da ist es mega-öde«, rief Nelly. »Du musst dich also wieder mit dem Papi vertragen.«
    Tja, wenn das so einfach gewesen wäre.
    »Aber wir haben uns doch gar nicht gestritten, Schätzchen«, sagte ich und versuchte, beruhigend, überlegen und erwachsen zu klingen.
    »Was denn dann?«, rief Nelly. »Hat Papi eine andere?« »Nei-in!«, sagte ich mit Nachdruck, genau wie Lorenz. »Aber warum liebt er dich denn dann nicht mehr?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Weißt du, Gefühle können eben manchmal ...«
    »Ach, fuck!«, schrie Nelly und fing an zu heulen. »Ich will nicht in diese Spießerkiste in die Vorstadt ziehen. Ich find das so scheiße, dass du gar nichts dagegen tust. Ihr versaut mir das ganze Leben.«
    Aber was sollte ich denn tun? Lorenz' Entscheidung stand bombenfest. Er hatte keine Zeit verloren, alle unsere Freunde, Bekannten und Verwandten über unsere bevorstehende Scheidung zu informieren. Sie waren überrascht, wenn auch nicht ganz so überrascht wie ich. So etwas kam eben in den besten Familien vor.
    Alle waren sehr freundlich und sehr neutral, und auch, wenn man neutrales Verhalten in einem solchen Fall theoretisch für korrekt befinden würde, ist Neutralität
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