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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia
Autoren: Kerstin Gier
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seufzte. »Ich wusste, dass es schwer werden würde, vernünftig mit dir darüber zu reden. Du bist so emotional.«
    Einer von uns beiden war hier ganz offensichtlich verrückt geworden. Fieberhaft durchforstete ich die letzten vierzehn Jahrenach einer Erklärung für Lorenz' Scheidungswunsch und fand nichts, nicht mal einen handfesten Ehestreit. Gut, ich hatte mein Studium an den Nagel gehängt und nie versucht, einen Beruf auszuüben, weswegen ich mich manchmal schlecht fühlte. Die Frauen in unserem gemeinsamen Bekanntenkreis waren nicht nur gewandter im richtigen Umgang mit der richtigen Putzfrau, sie waren in der Regel auch trotz ihrer Kinder berufstätig, die meisten waren sogar irgendwas Tolles wie Investmentberaterin, Richterin oder Ärztin. Da konnte man sich schon mal ein bisschen minderwertig fühlen, wenn alle sich bei einem Abendessen über ihren Alltag austauschten, über einen aufregenden Strafrechtsprozess, einen in letzter Sekunde wiederbelebten Patienten oder den wackeligen Nikkei, während das schwerwiegendste Problem, das man selber an diesem Tag gelöst hatte, ein Kaugummi war, der sich in den Haaren der kleinen Tochter verklebt hatte. Aber Lorenz hatte gar nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass ich zu Hause geblieben war, er hatte immer gesagt, er verdiene genug Geld für uns beide, und das stimmte ja auch. (Zumal er das einzige Kind in einer Familie mit zwei kinderlosen Erbonkels war, die im Verlauf unserer Ehe nacheinander das Zeitliche gesegnet hatten. Wenn sie auch den größten Teil ihres Vermögens irgendwelchen Stiftungen vermachten, blieben doch genügend Wertpapiere, Gemälde und Geldmarktfonds für ihren einzigen Neffen und Großneffen übrig.) Außerdem konnte man im Laufe der Jahre beobachten, wie viele Ehen in unserem Bekanntenkreis auseinander gingen, obwohl die Frauen so tüchtig und patent waren. Nein, es gab keine grundlegenden Diskrepanzen zwischen uns, sogar unser Sexualleben war völlig normal. Ein- oder zweimal in der Woche schliefen wir miteinander, wenn die Kinder im Bett waren, und das war weit mehr, als die meisten anderen Paare mit kleinen Kindern von sich behaupten können. Es hatte gelegentlich nur ein paar kleinere harmlose Auseinandersetzungen in unserer Ehe gegeben. Etwa darüber, dass ich meistens meine »Tchibo«-Handtasche trug, obwohl Lorenz mir doch eine »Louis-Vuitton«-Handtasche geschenkt hatte, oder darüber, dass ich Vorjahren einmal Julius' Windeleimer im Flur hatte stehen lassen, als der Oberstaatsanwalt und seine Frau zu uns zum Essen kamen. Mir fiel überhaupt nur eine einzige Sache ein, über die Lorenz sich wirklich aufgeregt hatte, und das war die Sache mit dem neuen Nachbarn.
    Kürzlich hatte ich den Müll runtergebracht und mich dabei selber ausgesperrt, ein Klassiker, wir kennen das alle: Die Tür war zugefallen, der Schlüssel steckte innen im Schloss. Drinnen schmorte eine Gemüselasagne im Ofen, und Julius hielt seinen Mittagsschlaf Außerdem war ich barfuß, eine blöde Angewohnheit. Die Nachbarin, die unseren Wohnungsschlüssel hatte, um dort nach dem Rechten zu sehen, wenn wir in den Ferien waren, war nicht zu Hause, und Nelly kam erst in zwei Stunden von der Schule. Weil die Lasagne so gut wie gar war, klingelte ich kurz entschlossen an der Wohnung über uns, wo gerade jemand neu eingezogen war, ein altersloser, bärtiger Mann, der es bis dahin versäumt hatte, sich vorzustellen. Er war glücklicherweise zu Hause. Ich hatte es etwas eilig, weil ich nicht wollte, dass Julius aufwachte und mich nicht in der Wohnung vorfand, darum sagte ich hastig, aber nicht unfreundlich: »Hallo, mein Name ist Constanze Wischnewski, ich wohne unter Ihnen, willkommen in unserem Haus, Brot und Salz bringe ich Ihnen ein anderes Mal vorbei, dürfte ich bitte mal auf Ihren Balkon?«
    Der Bärtige war damit wohl etwas überfordert, er glotzte nur verdutzt auf meine nackten Füße. Aber ich konnte nicht warten, bis er aus seiner Erstarrung erwachte.
    »Sehr hübsch haben Sie's hier«, sagte ich, während ich mich an ihm vorbei ins Wohnzimmer schob und über den kompletten Mangel an Möbeln staunte. Nur »Bang & Olufsen« und deckenhohe CD-Regale. »So reduziert.«
    Weil der Mann immer noch nichts sagte, öffnete ich die Balkontür und kletterte, nicht ohne mich vorher noch einmal höflichst zu bedanken, an den mit Knöterich bewachsenen Edelstahlrohren hinab auf unseren Balkon. Der Rest war ein Klacks:Ein Flügel des Schlafzimmerfensters stand auf Kipp, ich
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