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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia
Autoren: Kerstin Gier
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anderer Radfahrer entgegen, der Lorenz ebenfalls hatte ausweichen wollen. Wir kollidierten alle drei miteinander, es gab einen ziemlichen Lärm, und es dauerte eine Weile, bis wir unsere Gliedmaßen und Fahrräder wieder voneinander getrennt hatten. Es war ein Wunder, dass sich niemand ernstlich verletzt hatte, von den Schürfwunden, die ich davontrug, mal abgesehen. Lorenz sah freundlicherweise auch fast sofort ein, dass er an dem Unfall die Hauptschuld trug. Er wartete, bis der andere Radfahrer fluchend weitergefahren war, dann lud er mich zum Essen ein. Heute denke ich, dass es purer Zufall war, dass er mich eingeladen hat: Wäre der andere Radfahrer eine Frau und besser aussehend gewesen als ich, dann wäre Lorenz vermutlich heute mit ihr verheiratet. Er hatte damals nämlich beschlossen, dass es nun Zeit sei, sich ernsthaft zu binden, und wenn Lorenz sich einmal zu etwas entschlossen hatte, dann war er davon auch nicht mehr abzubringen. Er war ein aufstrebender junger Rechts-Referendar mit genau definierten Zukunftsplänen, und mir kam er vor wie ein Geschenk vom lieben Gott. Jan Kröllmann war ein Nichts gegen Lorenz Wischnewski, das war mir sofort klar.
    Rückblickend denke ich, dass wirklich nicht viel dazu gehörte, mich verliebt zu machen. Der Einfachheit halber verliebte ich mich immer in den Erstbesten, der mir über den Weg lief
    Lorenz war aber der erste Mann, der erkannte, dass ich eigentlich gar kein hässliches junges Entlein war, sondern ein Schwan. Unter seiner Regie musterte ich meine sackähnlichen Oberteile aus, kaufte mir eng anliegende T-Shirts, fand Gefallen an Pumps in Schuhgröße einundvierzigeinhalb und tauschte schließlich sogar die Nickelbrille gegen farbige Kontaktlinsen. Derart verwandelt - drei Wochen nach unserem Kennenlernen hätte mich zu Hause auf Pellworm wohl nur noch der Hund wieder erkannt -stellte mich Lorenz ganz stolz zuerst seinen Freunden und dann seiner Mutter vor.
    Dass er mich der Öffentlichkeit erst nach meiner Typveränderung präsentierte, hätte mich misstrauisch stimmen müssen, aber ich war verliebt. Es gab keinen Grund mehr, die Schultern nach vorne fallen zu lassen und zu schlurfen, denn Lorenz war auch dann noch größer als ich, wenn ich Pumps trug. Endlich mal ein Mann, der wusste, was er wollte - nämlich mich\ Ich konnte gar nicht schnell genug aus meiner WG aus- und bei Lorenz einziehen.
    Fast genauso beeilte ich mich damit, schwanger zu werden.
    Das allerdings war keine Absicht. Als meine Periode ausblieb, geriet ich in Panik. Schwanger! Ausgerechnet jetzt, wo sich mein Leben so wunderbar entwickelte! Lorenz - der erste Mann, der mich nackt gesehen hatte - würde mich achtkantig wieder aus seiner Wohnung schmeißen, meine Eltern würden mich umbringen, auf Pellworm würde ich mich nie wieder blicken lassen dürfen. Noch im Wartezimmer des Frauenarztes betete ich darum, eine schreckliche, gerne auch unheilbare Krankheit zu haben, bitte, bitte, ich habe doch immer gewissenhaft jeden Tag um dieselbe Zeit meine Pille genommen, bitte, lass mich krank sein, eine heimtückische Zyste, ein bösartiges Myom, alles, alles, nur keine Schwangerschaft.
    Mein Gebet wurde nicht erhört. Nachdem ich das Baby auf dem Ultraschall gesehen hatte, war ich dann auch ganz froh darüber, dass ich noch nicht sterben musste.
    Und ich hatte mich getäuscht, sowohl in Lorenz als auch in meinen Eltern. Als Lorenz von der Schwangerschaft erfuhr, warf er mich nicht aus seiner Wohnung, sondern machte mir einen Heiratsantrag. Und als meine Eltern von dem Heiratsantrag hörten, luden sie uns beide nach Pellworm ein, um Lorenz den Nachbarn vorzustellen und die Auswahl des Kinderwagenmodells zu diskutieren.
    Ungefähr acht Monate später wurde unsere Tochter Nelly geboren, später Julius, und für vierzehn Jahre war alles in bester Ordnung. Ich hatte das Studium an den Nagel gehängt, meine Kinder großgezogen und mich bemüht, mein Leben mit den richtigen Dingen auszufüllen: den richtigen Büchern zum richtigen Party-Smalltalk, den richtigen Schuhen zum richtigen Kleid, den richtigen Urlaubszielen mit den richtigen Freunden, den richtigen Gerichten zum richtigen Anlass und dem richtigen Umgang mit der richtigen Putzfrau. Von allen Dingen war Letzteres am schwierigsten für mich gewesen. Es hatte ein paar Jahre gedauert, bis ich kapiert hatte, dass es nicht sinnvoll ist, mit der Frau, die den Dreck für einen wegmacht, befreundet sein zu wollen. Am Ende sitzt man die ganze Zeit mit der
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