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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia
Autoren: Kerstin Gier
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Plätze lagen mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, und statt auf den eingebauten Bildschirm in der Rückenlehne des Vordersitzes schauten wir in die Gesichter von Herrn und Frau Meyer »met Ypsilon aus Offebach bei Frankfott, ei, der Klee is aber süß, wie alt issen der?«, die ebenfalls in Hamburg eingestiegen waren und aus einem unerschöpflichen Vorrat Salamistullen verzehrten. Beides, Salamigeruch und verkehrte Sitzposition, verursachen Übelkeit bei mir, und Julius hatte das wohl von mir geerbt, wie wir nun feststellen konnten. Kurz vor Bielefeld erbrach er sich ohne vorherige Ankündigung über den Tisch, der uns vom Ehepaar Meyer trennte.
    Die Zeitschriften, die die Meyers bis jetzt noch nicht gelesen hatten und nun wohl auch nicht mehr lesen würden, wurden mit Julius' Frühstück und den drei Päckchen »Hohes C« getränkt, die sie dem Jungen zuvor förmlich aufgedrängt hatten. »Kleine Kinder brauchen Vitamine, trink nur, des is gesund.«
    Das hatten sie jetzt davon.
    »Kommt noch mehr?«, fragte ich Julius, während ich hektischunsere Papiertaschentücher auffaltete und gar nicht wusste, wo ich mit dem Aufwischen beginnen sollte.
    »Ich glaube nicht«, sagte Julius vorsichtig.
    Herr Meyer entfernte sich diskret, während Frau Meyer rührig aufsprang und aus ihrem Gepäck eine Packung Feuchttücher hervorzauberte, so wie ich sie immer mit mir herumgeschleppt hatte, als Julius noch Windeln trug.
    Mit den Tüchern wurde alles ganz schnell wieder sauber. Frau Meyer ließ sie mit den Zeitschriften in einem ebenfalls herbeigezauberten Müllbeutel verschwinden. Zum Schluss öffnete sie das Fenster, strahlte mich an und sagte: »Des hätte mer geschafft!«
    Ich entschuldigte und bedankte mich ungefähr tausendmal.
    »Des muss Ihne doch net peinlisch sein, Kindsche«, versicherte Frau Meyer und streichelte Julius über den Kopf. »So sin Kinder nu mal, die habens oft mittem Magen, da muss man dorsch! Des is so ein lieber kleiner Kerl, gell, so vernünftisch für seine vier Jahre, und Sie sind eine ganz sympathische, patente junge Mutti, wecklisch, das muss Ihne gar net peinlisch sein.«
    Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, mich an Frau Meyers Brust zu werfen und sie zu fragen, ob sie mich nicht adoptieren wolle. Es war lange her, dass jemand etwas so Nettes zu mir gesagt hatte. Leider hatte Frau Meyer aber schon jede Menge Töchter und Söhne und Enkelkinder und daher vermutlich kein Interesse an einer Adoption. Außerdem - wenn sie mich näher kennen lernte, würde sie das mit der »patenten Mutti« sicher schnell zurücknehmen. Sympathisch ja, patent nein. Mein eigener Mann hatte mich vor nicht allzu langer Zeit als das »am schlechtesten organisierte, lebensuntüchtigste Weibsstück, das ich kenne« bezeichnet und kurz darauf die Scheidung eingereicht. Und wirklich jung war ich auch nicht mehr. Ich meine, mit fünfunddreißig kann man sich zwar wie zwanzig fühlen, aber man sieht nicht mehr so aus.
    Gerade deswegen schloss ich Frau Meyer für immer in mein Herz.
    Leider mussten wir in Köln Hauptbahnhof aussteigen und sahen die Meyers nie wieder. Ich zerrte unsere Koffer und Julius auf den Bahnsteig und kollidierte dabei mit einem circa einen Meter neunzig großen himmelblauen Hasen mit einer Bierfahne. Noch während ich mir vor Schreck ans Herz griff rülpste der Hase ein »Hoppla« und hoppelte weiter. Jetzt erst sah ich, dass er einer ganzen Gruppe pastellfarbener Nagetiere angehörte, die voller Begeisterung um die Abfalleimer herumhopsten und dabei »Bier her, Bier her« sangen. Ein Flickenclown, der einen Reisekoffer schleppte, und eine Frau mit blauer Lockenperücke, die sich etwas wackelig, aber energisch an seinen freien Arm klammerte, hielten mit »Mer losse de Dom in Kölle« dagegen. Es war Karneval in Köln.
    An einem Karnevalssonntag nach Köln zu kommen, nachdem man sieben Wochen auf der winterlich-verschlafenen Watteninsel Pellworm verbracht hat, ist in etwa so, wie mit einem Raumschiff auf einem fremden Planeten zu landen, allerdings ohne dass die Außerirdischen großartig von einem Notiz nehmen. Ich sah mich nach Lorenz um, meinem zukünftigen Exmann, dem Vater meiner Kinder. Aber von Lorenz war keine Spur zu sehen, obwohl ich ihm die Ankunftszeit mehrfach telefonisch durchgegeben hatte. Ich hatte auch nicht wirklich mit seinem Erscheinen gerechnet. Seit das Scheidungsverfahren lief, fühlte er sich in keiner Weise mehr für mich verantwortlich, und das bedeutete in diesem Fall
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