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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe
Autoren: Eva Ibbotson
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Frances das
Fleckchen für ihre Lilien zurückhaben. Der Ausgang des Streits stand keinen
Moment in Zweifel; alle in Bowmont wußten, daß der wortkarge alte Herr Miss
Somerville um den Finger wickeln konnte.
    Im Willow jedoch war alles
Freude und Überschwang. Ruth hatte eigentlich in Bowmont feiern wollen, doch
ihr Sohn hatte andere Vorstellungen gehabt.
    «Ich möchte nach London und den
König und die Königin sehen», sagte er.
    Auf weitere Fragen erklärte der
fünfjährige Jamie, er fände, sie hätten recht daran getan, auch während der
Bombenangriffe im Buckingham-Palast auszuharren und ihre Truppenbesuche fortzusetzen,
und das wollte er ihnen sagen.
    «Aber Jamie, da werden Tausende von
Menschen stehen und darauf warten, daß sie auf den Balkon herauskommen. Du
kannst sie nicht allein sprechen.»
    Jamie sagte, das mache ihm nichts
aus. Er war ein hübscher Junge geworden, mit dunklen Augen und dem lohfarbenen
Haar seiner Mutter; von seinem Ururgroßvater, dem Basher, waren ihm nur die
Ironie und der eiserne Wille geblieben.
    Sie reisten also nach London, und wo
James hinging, da ging auch seine kleine Schwester Kate hin – und als einmal
feststand, daß dies eine große Wiedersehensfeier werden würde, nahm Ruth das
Angebot der Damen Harper an, im Willow zu feiern. Mrs. Burtt, die es
mittlerweile zur Vorarbeiterin in der Munitionsfabrik gebracht hatte, hatte
sich anerboten, mit ihrem Sohn Trevor zu kommen und zu helfen.
    Dennoch war Mrs. Weiss, als sie im
Café ankam, keineswegs erfreut. «Du lieber Gott!» sagte sie unmutig. «So viele
Kinder!»
    Es waren wirklich viele Kinder.
Sechs Jahre Krieg hatten eine erstaunliche Wirkung auf die Geburtenrate gehabt.
Roger Felton und seine Zwillinge waren mit Kurt Berger und Jamie zum Bukkingham-Palast
gezogen, aber Janet, die extra nach London gekommen war, hatte ihren quirligen
Zweijährigen hier abgesetzt, um sich das Spektakel in den Straßen ansehen zu
können. Dr. Levy, jetzt Facharzt am Hampstead Hospital, hatte Dienst, aber
seine junge Frau war mit dem Baby gekommen, und Thisbe, die aus Cumberland zurück
war, wich Ruth nicht von der Seite. Auf Leonies Schoß saß, das ausgelassene
Treiben aufmerksam beobachtend, Katy Somerville.
    «Deshalb ist die Lutzenholler nicht
gekommen», stellte Mrs. Weiss grimmig fest, während sie sich auf zwei Stöcken
zu ihrem Stammplatz beim Garderobenständer manövrierte.
    Doch sie tat der Psychoanalytikerin
unrecht. Daß es tatsächlich Leute gab, die gutes Geld dafür bezahlten, dem
Küchenschreck von Belsize Park ihr Herz auszuschütten, erstaunte sie immer noch
alle, aber es war so. Fräulein Lutzenholler, die jetzt eine Praxis im vornehmen
St. John's Wood hatte, bot selbst an diesem historischen Tag ihren Patienten
Zuflucht auf der Couch.
    Auch andere fehlten. Von Hofmann
hatte so effektvoll «Schweinehund» gesagt, daß er es jetzt in Hollywood sagte,
und die Dame mit dem Pudel hielt ein zitterndes
Chihuahua-Hündchen im Arm, Ersatz für den Pudel, der in hohem Alter das
Zeitliche gesegnet hatte. Aber sonst waren fast alle da, und Ruth hatte in
ihrer Rolle als Kellnerin alle Hände voll zu tun.
    «Und Pilly?» fragte Leonie, als ihre
Tochter mit Janets Kleinem auf der Hüfte und einer Platte Gebäck in der Hand
vorüberkam. «Kommt sie auch?»
    «Sie hat gesagt, sie würde es
versuchen. Sam holt sie in Portsmouth ab. Aber bitte, Mama, hör auf zu
kuppeln.»
    «Warum denn?» fragte Leonie, die
überzeugt war, daß sie an der wachsenden Zuneigung zwischen Sam und Pilly
großen Anteil hatte. Sie hatte während des Krieges für alle Freunde Ruths ein
offenes Haus gehabt. Das Jahr, in dem Pillys Offizier auf See vermißt worden
und Huw bei El Alamein gefallen war, war schlimm gewesen, und da hatte sie
gesehen, wie gut diese beiden, Sam und Pilly, zusammenpassen würden. Sie nahm
einen Keks von Ruths Platte und drückte ihn ihrem Enkelkind in die Hand.
    Doch um drei Uhr gab Ruth Janets
Kleinen an Miss Maud weiter und ging nach oben zum geheimen Stelldichein mit
den vier Männern, die den ganzen Krieg hindurch in der Uniform der Pioniere
herumgereist waren, um die Frontsoldaten ebenso wie die vom Krieg erschöpften
Daheimgebliebenen mit ihrer Musik zu trösten und zu erfreuen und die diesen Tag
in einer zerstörten Kirche im Herzen Englands feierten.
    Sie schaltete das Radio ein und
hörte das Schubert-Quartett, das sie an jenem Abend in Thameside gehört und
geglaubt hatte, ein Wunder sei geschehen und Biberstein sei doch am
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