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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe
Autoren: Eva Ibbotson
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Mäusekot gesprenkelt und einem Bild der Prinzessinnen
Elizabeth und Margaret Rose dekoriert.
    Sie war mit dem Bus bis Alnwick gekommen, aber bis
Bowmont waren es immer noch acht Meilen. Normalerweise hätte sie das leicht zu
Fuß gehen können, aber nicht in ihrem jetzigen Zustand. Darum leistete sie
sich, obwohl sie kaum Geld hatte, ein Taxi bis zum Dorf. Es wäre vernünftiger
gewesen, sich direkt vor dem Haus absetzen zu lassen, aber das schaffte sie
nicht. Sie wollte dort nicht als jemand erscheinen, der Ansprüche erhob und auf
seine Rechte pochte; sie suchte Trost und Zuflucht in Bowmont, sonst nichts.
    «Ich hoffe, du bist zufrieden»,
sagte sie bitter zu ihrem ungeborenen Kind. Sie hatte einen langen Kampf
ausgetragen, ihren Stolz und ihre Selbständigkeit gegen den Eigensinn und die
Halsstarrigkeit dieses Geschöpfs ins Gefecht geführt, und sie hatte verloren.
Als sie jetzt schwerfällig den Hügel hinaufging, versuchte sie, den
Konsequenzen einer Zurückweisung ins Auge zu sehen. Wohin würde sie sich
wenden, wenn sie abgewiesen wurde? Es begann schon dunkel zu werden; sie konnte
kaum zu Penelope zurückkehren, deren Ratschläge sie in den Wind geschlagen –
die sie in gewisser Weise im Stich gelassen
hatte. Sie mußte verrückt gewesen sein, hierherzukommen, jetzt, in der elften
Stunde.
    Die Tränen schossen ihr in die
Augen, als sie vor sich, scharf umrissen vor dem Hintergrund eines stürmischen
violetten Himmels, den Turm von Bowmont auftauchen sah, das Rauschen der
windgepeitschten Bäume hörte und das Tosen der Brandung an den Felsen.
Erinnerungen überfielen sie: an den unglaublich klaren Sternenhimmel; an den
blendenden Glanz des Meeres in der Morgensonne; an die warme Geborgenheit und
den Duft des Gartens. Wenn man sie wiederum fortschicken sollte, dachte sie,
würde sie es nicht ertragen.
    Sie ging jetzt auf der gekiesten
Auffahrt und war noch immer keiner Menschenseele begegnet. Als sie die Treppe
erreichte und ihren Koffer niederstellte, wußte sie mit Gewißheit, daß ihr Bemühen
scheitern würde. Frances Somerville hatte für Flüchtlinge und für Ausländer
nichts übrig; sie gehörte einer längst vergangenen Zeit an. Es gab keine
Zuflucht hier, keine Geborgenheit und keine Hoffnung.
    Sie konnte das Bimmeln der Glocke im
Inneren des Hauses hören. Würde Turton sie überhaupt melden, wenn er ihren Zustand
sah? Sie gehörte an die Hintertür oder in eines dieser düsteren Gemälde, auf
denen des Hauses verwiesene Frauen in die Nacht hinausstolperten.
    Der Riegel wurde langsam
zurückgezogen – so langsam, daß Ruth Zeit gehabt hätte, umzukehren und die
Treppe hinunterzulaufen.
    «Ja? Was gibt es?»
    Es war nicht Turton, es war niemand
vom Personal. Es war Frances Somerville selbst, die ihr den Weg versperrte und
auch, als sie sah, wer vor ihr stand, keine Neigung zeigte, sie hereinzubitten.
    «Wie um alles in der Welt kommen Sie
denn hierher?» rief sie entrüstet. «Was wollen Sie? Sie gehören doch jetzt
nicht hierher!»
    Ruth holte tief Atem und hob den
Kopf. Sie mußte kämpfen. Für ihr Kind. Aber als sie sprach, kamen ihr die Worte
nur stockend über die Lippen; sie war plötzlich so erschöpft, daß sie sich kaum
noch auf den Beinen halten konnte.
    «Bitte ... ich bitte Sie ... Darf
ich bleiben?»
    «Hierbleiben? Hier? In Ihrem
Zustand? Wirklich, Ruth, ich weiß ja, daß ihr Ausländer alle verrückt seid,
aber das geht wirklich zu weit. Selbstverständlich können Sie nicht bleiben.»
    «Ich kann es Ihnen erklären ... Es
hat seine Gründe.»
    «Es geht hier nicht um Erklärungen.
Sie können ganz einfach nicht hierbleiben, und fertig.»
    Ruth sah in das entsetzte Gesicht der
Frau, von der sie trotz allem gehofft hatte, sie sei ihre Freundin. Als sie von
einer tödlichen Kälte erfaßt ihr Cape fest um sich zog, begannen die ersten
Flocken zu fallen.

29
    Als Pilly sich zur Navy gemeldet hatte, war es ihr
Bestreben gewesen, als Köchin eingestellt zu werden; die Tatsache jedoch, daß
sie studiert hatte, wenn auch nicht mit spektakulärem Erfolg, verlieh ihr
automatisch einen Status, den sie eigentlich gar nicht haben wollte. Sie wurde
Fahrerin, und ab Ende November beförderte sie Nachrichten von und zu den Docks
sowie höhere Offiziere der Navy in mehr oder weniger wichtiger Mission.
    Der Offizier, den sie an diesem
Dezembernachmittag von dem Zerstörer Vigilantes etwa zehn Meilen
außerhalb des Stützpunkts abholen sollte, war allerdings nur ein kleiner
Leutnant, aber es fiel
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