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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe
Autoren: Eva Ibbotson
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wollte dir
doch nur etwas Schönes und Kostbares schenken.»
    «Ich weiß – ich war eine Gans. Wahrscheinlich
dachte ich, ich dürfte nicht glücklich sein, wenn es auf der Welt soviel Leid
gibt. Und außerdem erzählte Verena allen, die es hören wollten, du würdest sie
nach Afrika mitnehmen.»
    «Ja, eine unangenehme Person. Sie
wird Kenneth Easton heiraten und ihm beibringen, wie man Cholmondely richtig
ausspricht.»
    Das gefiel Ruth. Das gefiel ihr
sehr. Doch Quin war immer noch erschüttert von den Entwicklungen der
vergangenen Monate. «Wenn ich denke, daß du das alles allein durchgestanden
hast.»
    «Hab ich ja gar nicht», widersprach
Ruth ein klein wenig bitter. «Jedenfalls am Schluß nicht. Ich kann nur sagen, dich hat deine Tante vielleicht in Ruhe gelassen. Mich bestimmt nicht.»
    Sie schilderte den Moment, als
Frances an der Tür des Hauses erschienen war und ihr, wie es schien, den Weg
versperrte. «Sie sagte, ich könne nicht bleiben. Ich war völlig verzweifelt,
aber sie meinte nur, ich könne nicht in Bowmont bleiben, weil wir da womöglich
einschneien würden und der Krankenwagen dann nicht durchkäme. Sie packte mich
einfach ins Auto und fuhr mit mir zu Mrs. Bainbridge in Newcastle. Und nicht
einmal, als meine Eltern kamen, hat sie mich aus den Augen gelassen. Ich
glaube, sie hatte Angst, es könnte so gehen wie mit deiner Mutter.»
    Quin nahm ihre Hand und hielt sie
fest. «Gott sei Dank, daß es Tante Frances gibt.»
    «Quin», sagte Ruth ein wenig
zaghaft, «wenn du Bowmont dem Trust überschreibst, könntest du dann nicht ein
ganz kleines ...»
    «Wenn ich was tue?» unterbrach Quin verblüfft.
    «Wenn du Bowmont dem Trust überschreibst.
Ich meine ...»
    «Aber Ruth! Was glaubst du denn? Du
hast doch das Kind gesehen – du hast seine Fäuste gesehen. Glaubst du im Ernst,
ich würde es wagen, sein Heim einfach wegzugeben?»
    Ruth schien das komisch zu finden,
sehr komisch, und ihre Bemerkungen über die englische upper dass waren
so wenig schmeichelhaft, daß Quin ihr, leicht gekränkt, den Mund mit einem Kuß
verschloß. Er zog sie fester an sich. Er wußte, er würde niemals genug von ihr
bekommen, und in diesem Moment begann das Baby zu weinen. Augenblicklich ließ
er sie los, nahm sich zurück. Er mußte sie lassen, obwohl er sie schon bald
würde verlassen müssen, für immer vielleicht. Er mußte zurückstehen, das
verlangte das Gesetz des Lebens.
    Aber ihr Gesetz war ein anderes. Er
fühlte, wie sie auf das Wimmern des Kindes reagierte, meinte zu spüren, wie das
Band zwischen Mutter und Kind sich straffte. Sie streckte den Arm aus, jedoch
nur, um auf den Klingelknopf neben ihrem Bett zu drücken.
    «Ach, würden Sie ihn bitte ein
Weilchen hinausbringen?» bat sie, als die Schwester kam. «Er kann noch nicht
hungrig sein, und mein Mann kann nicht – lange bleiben.»
    Er nahm es als ein Zeichen ihrer
Liebe, dessen er sich würdig erweisen mußte, solange sie beide lebten. Als er
sein Gesicht an ihre Wange drückte, fühlte er ihre Tränen.
    «Quin, du kannst doch schwimmen,
nicht?»
    «Ja.»
    «Du kannst es wirklich gut, ja? Dann
versprich mir, ganz gleich, was passiert, selbst wenn ... ich meine, es ist ja
nur der Atlantik oder der Pazifik. Es ist nur ein Ozean. Versprich mir, daß du
einfach immer weiterschwimmst, immer weiter. Denn ganz gleich, wo du an Land
kommst, ob auf einem Kontinent, einer Insel oder einem Korallenriff, ich warte
dort auf dich. Ich schwöre es, Quin. Ich schwöre es bei Mozarts Kopf.»
    Er mußte mit seiner Antwort einen
Moment warten, weil er seiner Stimme nicht traute. Dann sagte er: «Natürlich.
Du kannst dich fest darauf verlassen.»
    Danach hielten sie einander
schweigend umschlungen, bis es Zeit für ihn war zu gehen.

Epilog
    Es war ein unglaublich schöner Tag; ein Tag, der zur Stimmung der
Engländer paßte, die das Ende des Krieges in Europa feierten. Der blaue Himmel
war wolkenlos, die Bäume leuchteten in hellem Maigrün. Fremde umarmten einander
auf den Straßen; Kinder sprangen ausgelassen herum; Freudenfeuer wurden
angezündet – auf den ausgebombten Plätzen rund um die St.-Paul's-Kathedrale
wurde getanzt.
    Es gab natürlich auch solche, die
lieber ohne großes öffentliches Spektakel feierten. Frances Somerville und
Mishak arbeiteten den ganzen Tag im Garten von Bowmont und stritten wegen des
Spargelbeets. Die Notwendigkeit, für Nahrung zu sorgen, hatte Mishak erlaubt,
an einer Stelle an der Südwand Spargel zu pflanzen; jetzt wollte
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