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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe
Autoren: Eva Ibbotson
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Pilly nicht ein, danach zu fragen, womit er diese
Sonderbehandlung verdiente. Sie tat ihren Dienst und basta. Doch als er kam,
erlebte sie eine Überraschung.
    «Du meine Güte, Pilly!» Quin spähte
ungläubig durch das winterliche Grau. «Sind Sie es wirklich?»
    «Ja, Sir.»
    «Na, das ist aber eine
Überraschung!» Er warf seinen Seesack hinten in den Wagen und setzte sich nach
vorn zu ihr. «Ich hatte keine Ahnung, daß Sie bei der Navy sind. Wie gefällt es
Ihnen?»
    «Ich find's ganz toll.»
    Quin lächelte über ihren
Enthusiasmus. «Wissen Sie, was die anderen machen?»
    «Janet ist beim Roten Kreuz»,
antwortete Pilly. «Sie heiratet bald. Huw ist bei der Army, und Sam geht zur
Air Force.»
    Quin drehte mit einer heftigen
Bewegung den Kopf. «Er hätte sich aufgrund seines Studiums zurückstellen lassen
können. Das habe ich ihm extra gesagt.»
    «Ja – aber er möchte dabeisein. Er
haßt die Nazis, und nicht nur, weil er Ruth so gern hatte.»
    Unvermeidlich, daß das Mädchen, das
Ruth wie ein Schatten gefolgt war, ihren Namen erwähnen würde. Er mußte darauf
reagieren.
    «Haben Sie von Ruth gehört?»
    «Ja. Vor zwei Wochen.»
    «Und wie gefällt es ihr in Amerika?»
    Keine Antwort. Sie fuhren unter
Bäumen einen steilen Hang hinauf. Er glaubte, sie müßte sich auf das dunkle
Stück Straße konzentrieren und wartete. Aber als sie weiterhin stumm blieb,
wiederholte er seine Frage.
    «Sie ist nicht in Amerika»,
antwortete Pilly.
    «Wieso? Sie müssen sich täuschen.»
Sein Bemühen, in neutralem Ton zu sprechen, war nur teilweise erfolgreich. «Sie
ist doch Ende Juli mit Heini auf der Mauretania hinübergefahren.»
    «Nein. Heini ist gefahren, Ruth
nicht. Das hat sie mir in ihrem Brief geschrieben.»
    «Wo ist sie dann?»
    «Irgendwo in Nordengland. Sie
arbeitet als Kindermädchen.»
    «Was? Das muß ein Irrtum sein!»
    Pilly schüttelte energisch den Kopf.
«Nein. Und ich mache mir große Sorgen um sie. Ich verstehe nicht, was los ist.
Sie behauptet, es sei alles in Ordnung, aber das stimmt nicht, ich fühle es.
Sie ist unglücklich und meiner Ansicht nach völlig durcheinander. Und außerdem
verhält sie sich wieder mal total weltfremd, finde ich.»
    «Wie meinen Sie das?»
    Pilly, die an einer Kreuzung warten
mußte, versuchte zu erklären. «Ich habe Ruth wahnsinnig gern. Wirklich. Ihr
allein habe ich meine bestandene Prüfung zu verdanken. Aber das ist nicht der
Grund. Sie hat mir gezeigt, wie schön das Leben sein kann. Uns allen hat sie
das gezeigt. Aber manchmal bekam sie plötzlich einen Rappel und benahm sich wie
eine Heldin aus einem Buch oder aus einer Oper. Wie damals mit Heini, da redete
sie dauernd von La Traviata und von dieser Mimi aus der Boheme. Aber
Liebe hat doch mit Oper nichts zu tun», sagte Pilly und lächelte, denn sie
hatte einen Offizier kennengelernt, der sie heiraten wollte.
    Sie waren schon wieder ein ganzes
Stück gefahren, ehe Quin etwas sagte. «Haben Sie ihre Adresse?»
    «Nein. Sie hat sie mir nicht
mitgeteilt. Darum glaube ich ja, daß sie wieder mal eine Romanheldin ist. So
eine viktorianische Jungfrau, die im Schneetreiben herumirrt.» Sie warf einen
Seitenblick auf ihren Fahrgast. Er war ein berühmter Wissenschaftler und würde,
wenn er überlebte, vermutlich ein gefeierter Held werden, aber er war auch ein
Mann, und den Verdacht, den sie und Janet hegten, konnte man ihm nicht mitteilen.
«Ich sorge mich nicht um sie, weil sie nicht mit Heini nach Amerika gegangen
ist. Es war ja offensichtlich, daß sie ihn gar nicht geliebt hat und ...»
    «Tatsächlich? Diesen Eindruck hatte
ich aber nicht.»
    Laß es nicht von neuem beginnen,
Gott! dachte er und sah zu den winterlichen Bäumen hinaus. Von der Wut, in die
er sich früher hatte retten können, war nichts geblieben. Nur Trauer empfand er
und ein tiefes, quälendes Gefühl schmerzlichen Verlusts.
    «Ich habe mir vorgenommen, sie zu
suchen, und ich werde sie finden», erklärte Pilly. «Der Haken ist nur, daß ich
erst in drei Monaten wieder Urlaub habe.»
    «Wie wollen Sie sie ohne Adresse
finden?»
    «Ich glaube, sie ist in Cumberland –
dem Poststempel nach könnte es Keswick sein.» An einer roten Ampel bremste sie
ab und sah ihn an. «Ich habe den Brief in meinem Zimmer. Wenn Sie Zeit hätten,
ihn sich anzusehen – Sie haben doch Übung darin, Dinge zu entschlüsseln. Und
wenn es wirklich Keswick sein sollte – das ist doch gar nicht so weit von
Bowmont, nicht wahr? Wenn Sie nach Hause fahren, könnten Sie
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