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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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aus der Dunkelheit und in den Schein der einzigen Straßenlaterne der Lake Street hinein, und als sie mich in meiner kleinen Vertiefung im Park stehen sahen und ich ihnen vielleicht auch irgendwie bekannt vorkam, obwohl sie auf die Entfernung nicht genau erkennen konnten, wer ich war, winkten sie mir zu, alle sechs wie auf Kommando. Ich winkte zurück und schaute ihren dicklichen Körpern hinterher, die langsam auf der Straße verschwanden.
    Wie ferngesteuert überquerten meine Füße die Straße, gingen die Auffahrt hoch, traten durch den Garageneingang, und dann öffnete ichdie Tür zur Diele, in der der Geruch von Stroh und Staub und Bitterorange hing, der Geruch nach Zuhause. Fast hätte ich mich umgedreht und wäre zum Wagen zurückgegangen, um zu warten, bis es Tag wurde. Ich hatte meine Mutter seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen; die Fahrt nach Hause konnte ich mir nicht leisten, und zum ersten Mal, seit ich weg war, hatte sie nicht angeboten, sie mir zu bezahlen. Ich beschloss deshalb, mich so leise hineinzuschleichen wie möglich, in der Hoffnung, mich noch für ein paar Stunden aufs Ohr legen zu können, bevor ich sie weckte. Ich stellte meine Schuhe neben ihre weißen Schwesternclogs und ging durch die Diele in die Küche.
    Doch obwohl ich fest damit gerechnet hatte, dass Vi schlafen würde, saß sie am Küchentisch, vor sich ausgebreitet das
Freeman’s Journal
. Ihr Profil spiegelte sich in der großen Glastür, durch die man auf den fast einen Hektar großen Rasen, den See und die Hügel hinausblicken konnte. Offenbar hatte sie eine Nachtschicht hinter sich, denn ihre Füße standen in einer Emailschüssel voll heißem Wasser, ihre Augen waren geschlossen, und ihr Gesicht hing so tief über der Teetasse, als wollte sie mit dem Dampf ihre Gesichtszüge aufweichen. Dabei waren sie sowieso schon in Auflösung begriffen; mit ihren sechsundvierzig Jahren hatte meine Mutter die schlappe, schlaffe Haut einer Frau, die in viel zu jungen Jahren viel zu viele Drogen genommen hatte. Ihre Schultern waren zusammengesunken, der Reißverschluss hinten an ihrem Rock stand offen und gab den Blick auf einen Streifen roter Baumwollunterwäsche und einen Muffinwulst aus Fleisch darüber frei.
    Aus dem Winkel von der Küchentür sah meine Mutter alt aus. Hätte ich nicht sowieso schon seine Bruchstücke krampfhaft mit beiden Händen zusammenhalten müssen, wäre mir bei diesem Anblick das Herz gebrochen.
    Ich musste mich bewegt oder geschluckt haben, denn plötzlich drehte Vi den Kopf und schaute mich an. Ihre Augen wurden schmal, sieblinzelte, gab einen Seufzer von sich und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. «Scheiß Flashbacks», murmelte sie.
    Ich schnaubte.
    Sie schaute mich wieder an und runzelte die Stirn. «Nein. Du bist kein Flashback, Willie. Oder doch?»
    «Dieses Mal offenbar nicht», sagte ich, ging zu ihr hinüber und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Sie roch nach Desinfektionsmitteln aus dem Krankenhaus, doch darunter verbarg sich auch ihr eigener Geruch, der an einen Vogel erinnerte, wie warme und staubige Schwingen. Sie drückte mir die Hand und wurde rot.
    «Du siehst furchtbar aus. Was um alles in der Welt machst du denn zu Hause?»
    «Ach, Mann.» Ich seufzte und musste wegschauen, hinaus auf die sich lichtenden Nebelflusen auf dem See. Als ich wieder zu ihr sah, war das Lächeln aus ihrem Gesicht wie weggekippt.
    «Was. Zum. Teufel. Machst. Du. Zu. Hause?», fragte sie wieder und verstärkte mit jedem Wort den Druck um meine Hand, bis ich das Gefühl hatte, sie würde mir gleich alle Knochen brechen.
    «Jesus, Maria und Josef.» Ich schnappte nach Luft.
    «Nun», sagte sie, «wenn du in Schwierigkeiten steckst, fängst du besser schon mal mit dem Beten an.» Erst in diesem Moment fiel mein Blick auf das schmucklose schmiedeeiserne Kreuz, das schwer zwischen ihren Brüsten hing und so aussah, als wäre meine Mutter zu dem Bauernmuseum weiter oben an der Straße gegangen und hätte es sich aus zwei Hufnägeln selbst geschmiedet. Ich stupste das Kruzifix mit meiner freien Hand an und zog die Stirn in Falten.
    «Vi?», fragte ich. «Jetzt erzähl mir bloß nicht, dass du ein Jesus-Freak geworden bist! Du bist doch ein Hippie, um Gottes willen. Erinnerst du dich noch? Organisierte Religion gleich schlecht?»
    Sie ließ meine Hand los und schob das Kreuz in ihre Bluse. «Das», meinte sie, «geht dich nichts an.» Trotzdem konnte mir Vi eine ganze Weile nicht ins Gesicht schauen.
    «Vi»,
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