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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Radieschen. Rechts unter dem Birnenbaum steht ein Busch Rhabarber, aus dem man leckeren Nachtisch kochen kann, und die jungen Äpfel glühen im Sonnenlicht. Der Rasen ist frisch geschnitten, mit einem modernen, nach Benzin stinkenden Motormäher, und von der Straße her hört man Stimmen.
    Lotte fühlt sich reich.
    Sie fühlt sich wie eine Königin.
    Sie hat es geschafft, ist zuhause angelangt und weiß, wo sie hingehört.
    Dann hört sie die Autos. Türen schlagen und Stimmen schwingen sich auf. Stimmen, die sie sofort registriert, die sie kennt, die sie liebt.
    Man solle nicht klingeln, hatte Lotte die Besucher angewiesen, sondern direkt in den Garten kommen, falls es nicht regnet, durch das schmiedeeiserne Rundtor, welches Garage und Haus verbindet.
    Frank stellt die Flasche ab und blickt auf. In seinem Gesicht zuckt es und Lotte sieht, dass er zwar begreift, aber es nicht glauben will. Seine Lippen formen Worte, er schüttelt den Kopf, und als die Besucher in den Garten kommen, springt er auf und steht dort wie ein Schuljunge. Er starrte sie an und Lotte starrt auch.
    Otto hat sich verändert. Das schmale, hühnerhafte, ist von ihm gewichen, denn er hat Gewicht zugelegt. Seine glatten Haare haben sich gelichtet und die schwere Hornbrille scheint seinen immer noch glatten Kopf nach vorne zu ziehen. Gina neben ihm wirkt alterslos und attraktiv wie eh und je. Piefke, der eigentlich Rudi heißt, sieht nicht mehr aus wie Hotte Buchholz, sondern ist grauer geworden und in seinem Gesicht verästeln sich Alkohol und Lebenshunger. Ein attraktiver Mann ist er immer noch, aber nicht mehr der Rocker, der unangepasste Mann, sondern ein schmaler Kerl, der zu viel gelebt hat. Niemand hat damals begriffen, was er an Traudel fand, denn sie ist doppelt so breit wie er und fast einen Kopf größer. Sie hat ihre Haare toupiert und ist stark geschminkt. Ihr Busen bebt und ihr Kostüm wirkt billig.
    Und dann ist da noch Käthe Jäckel, Lottes Mutter. Siebzig Jahre alt, in bedeutungsloser Kleidung. Wie immer bewegt sie sich geschickt, um ihren Gibbus, den Buckel, zu verstecken, was ihr meisterhaft gelingt. Meistens steht sie so, dass sie keine Silhouette bildet, im Gegenteil hält man ihre krankhafte Verwachsung für etwas, dass sie trägt wie eine Erfahrung, wie einen Sack voller Fragen und Begehrlichkeiten, ein en Ausdruck starker Persönlichkeit.
    Frank begreift, ein schneller Blick streift Lotte und man fällt sich in die Arme, klopft sich auf die Schultern, und als Muttel Lotte zögerlich umarmt und auf einen Kuss wartet, fällt es Lotte schwer, wie stets, der stillen Aufforderung zu folgen. Sie strengt sich an, noch so ein Abenteuer, noch etwas, für das sie über ihren Schatten springt, doch Muttels trotziger Blick zeigt ihr, dass sie den Widerwillen ihrer Tochter bemerkt hat. Wie immer.
    Frank herzt seine Schwiegermutter, denn die beiden lieben sich, und bis heute hat er sich nicht in den stillen Zwist eingemischt, der Muttel und Lotte auf trübe Weise verbindet. Er fragt nicht und sie sagt nichts. Eigentlich ist es fast vergessen, Vergangenheit, doch nun wieder präsent. Wie eine alte Wunde, die man mit den Fingernägeln aufkratzt, den Schorf wegschneidet, bis es blutet. Lotte kann nichts dagegen tun. Auch wenn die Vergangenheit Geschichte frisst, bleibt es so. Vermutlich, weil sie die Härte von Muttel geerbt hat, jene Härte, die ihr Gesicht so scharf gemeißelt und ihre einstmalige Schönheit genommen hat.
    » Wo ist Ottilie?«, fragt Muttel Jäckel.
    Lotte fängt an zu zittern, denn sie hat ein déjà vu. Derselbe Tonfall, in dem nicht nur eine Frage schwingt, sondern Misstrauen und Vorwurf. Es war, als Ottilie ins Krankenhaus kam, weil sie sich mit einem Messer in die Arme geschnitten hatte, erinnert sie sich. Es war ihre Geburtstagsfeier, als sie Flaggen klauten und später sehr lustig waren und Zarah Leander zuhörten.
    Frank und Otto sind unterwegs und holen Klappstühle aus der Garage. Piefke öffnet eine Bierflasche, Stimmen schwirren durch den Garten, jeder redet gleichzeitig, doch das wird sich geben, gibt sich immer. Noch ist die Begeisterung groß, noch gibt es viel zu berichten, und wenn alles gut geht, reicht das aus bis später, denn morgen fahren alle wieder zurück und das Gleichmaß hat Lotte wieder.
    »Rumms! Kam der Stein drauf ...«, hört sie Frank berichten.
    » Wirst du wieder popeln können?«, fragt Piefke. Die Männer lachen.
    » Und noch viel mehr«, sagt Frank. Erneutes Lachen.
    » Bis zum
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