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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Er ist der einzige Freund, der irgendwie begreift, dass ein Raum ohne Bücher ein Raum ohne Seele ist, auch wenn er nie darüber spricht, was eine gewisse Weisheit oder freundschaftliche Toleranz voraussetzt. Dieser kleine, drollig wirkende, immer dicker werdende, aber harte Mann, der über eine schier unglaubliche Kondition verfügt, weiß Frank zu nehmen und legt keinen Wert darauf, ob er es mit einem zu tun hat, der liest oder hin und wieder philosophiert, sondern Oskar redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
    » Guck dich ma an, Mann. Läufst wie n Greis. Machst dir die Knochen kaputt. Und nu musste ins Krankenhaus.«
    Frank lacht hart. »Ich bin fast sechzig.«
    » Sind noch n paar Jahre hin bis dann, mein Lieber. Übertreib man nich.«
    » Und ich will nicht mehr. Ich werde in Frührente gehen, Oskar.«
    » Dann tu das. Kannste dich noch erinnern, was du für einer warst? Damals? Als du dem Schotterbein ans Bein gepisst hast und als dein Schwager dich beschissen hat und Lotte und du Angst hatten, dass ihr das Häusken nich haben würdet? Und die Jahre danach? Ein Berg warst du, wo keiner nich draufklettern konnte.«
    Frank spitzt die Ohren, denn für gewöhnlich ist Oskar keiner, der viel redet, es sei denn, er erzählt Witze, die bisweilen sogar gut sind. Nimm dir Zeit für deine Freunde, sonst nimmt die Zeit dir deine Freunde, so oder ähnlich sagt man, oder?
    »Die Jahre danach mit deiner Ottilie. Is doch schlimm, was mit ihr is und der kleinen süßen Jasmina. Is grauenhaft. Und Tom is beim Bund, nachdem er dich wegen der Schule so enttäuscht hat, obwohl ich nach wie vor nich kapier, warum du darüber so sauer bist. Glaubste, ich hab nich mitgekriegt, wie du gelitten hast, als er die Penne abgebrochen hat? Aber du vergisst, dass er ist, wie er ist. Der kriegt sein Leben auch ohne Abi hin. So, das wollte ich mal sagen, weil ich glaub, dass dir das auch alles zusetzt und dich platt macht.« Oskar reckt sich. »Oma Käthe pfeift aus’m letzten Loch, und mit Lottes Familie haste fast alle Kontakte abgebrochen. Da bleibt dir nur noch deine Beste, die sich genauso viel Sorgen macht wie ich.« Oskar reibt sich das Kinn. »Mach dir nich auch das noch kaputt. Geh in Rente und scheiß auf weniger Geld. Deine Lunge is kaputt, wenn ich dich röcheln höre und deine Finger sind es jetzt auch.«
    Frank geht Richtung Kaue, in den Raum, in dem die Waschung der Männer geschieht, die unter Tage arbeiten, die schwarz vom Kohlenstaub sind, und die heiße Dusche genießen.
    Frank lässt sich auf die Bank vor den Spinden fallen wie ein erschöpfter Fußballer nach einem vermasselten Elfmeterschießen. Oskar hockt sich daneben, wobei seine Beine wie abknickende Würste aussehen, findet Frank.
    » Hab ich Recht, mein Freund?«, fragt Oskar.
    » Sie gehen weg. Sie alle«, flüstert Frank und fragt sich, wieso er jetzt darauf kommt. Hat das was mit dem starken Schmerzmittel zu tun?
    Oskar runzelt die Brauen. Er kennt diese, ihm nicht direkt verständlichen Sätze von Frank. Meistens schweigt er dann, denn er weiß, dass sein Freund sich selbst erklärt.
    » Sie lassen mich alleine. Meine Kinder lassen mich alleine.«
    » Das is hart«, nickt Oskar und Frank fragt sich, ob sein Freund ihn begriffen hat, während er sich auch noch fragt, ob er sich selbst begriffen hat. Der Staub juckt ihm in der Kimme, überall, und er sitzt vor seinem Spind, als hätte er alle Zeit der Welt, was nicht so ist, da der Krankenwagen wartet. Ist er wirklich schon so schlaff, wie eine verdorrende Pflanze auf einem Schränkchen, mit hängenden Blättern, während die Sonne auch den Rest des Grüns ausdörrt? Er richtet sich auf, zieht den Bauch ein, obwohl er das vor seinem Freund nicht nötig hat, und nickt. »Ja, das ist hart, Oskar.«
    Später, nicht viel später, aber eine Ewigkeit entfernt von Kohle und Ruß, ist er draußen und die Sanis winken aufgeregt. Er solle sich beeilen, verdammt noch mal. Sonst kann es zu spät sein. Man hat tatsächlich einen Krankenwagen geholt und Frank fragt sich, wieso sie ihn in die Kaue haben gehen lassen, ohne ihn zu beaufsichtigen, nun aber unbedingt auf eine Trage legen wollen.
    Und er bekommt die Antwort.
    Die Wirkung der Spritze lässt schlagartig nach, der Schmerz kehrt zurück und verschleiert seinen Blick. Dankbar lässt er sich in den Wagen hieven und schließt die Augen, als er eine weitere Spritze bekommt.

2
     
    Im Leben von Thomas Wille gibt es Momente, in denen die Zeit stehenbleibt, wenn er das
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