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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Zähmung und Ordnung. Die hört zwar stets nach Dienstschluss auf, wenn sich die unteren und oberen Dienstgrade besaufen, Oberkante Unterlippe, bis sie nur noch volltrunken röcheln, aber bis dahin hat alles »Zackzack!« seine Richtigkeit zu haben.
    Affentheater!, hat Thomas das Getue von Beginn an kategorisiert, jedoch nicht die Stärke entwickelt, das Spiel zu akzeptieren, denn manchmal kann Theater Spaß machen. Dafür fehlt ihm etwas, vielleicht ist es Demut, vielleicht ist es Anpassungsfähigkeit, vielleicht ist es Humor.
    Nie vergisst er den ersten Tag in der Kaserne und sein Heimweh, die hallenden Geräusche, die Rufe und die donnernden Türen, die trappelnden Stiefelsohlen, alles das. Er kam sich vor wie im Knast, und als er auf seinem Bett lag, eine zweifingerdicke Matratze auf zusammengesteckten Metallösen, hart und unbequem, konnte er nicht schlafen. Sechs Männer in einem Raum. Furze, das wischende Geräusch der Onanie, einer schluchzte leise, und draußen die vorfahrenden Autos, bollernde Karren, deren Scheinwerfer Irrlichter in die Stube sandten, und wieder Stille, die jäh unterbrochen wurde, als er einschlief, durch einen in den Flur geworfenen Stahlhelm und dem Befehl: »Aufstehen!«
    Zehn Minuten für die Körperhygiene, fünf Minuten fürs Ankleiden, zehn Minuten fürs Bettenmachen, nach dreißig Minuten antreten in eben jenem Flur, der noch immer vom Stahlhelmgedröhn nachbebt e, über einem die flackernden gelben Neonröhren und der Geruch von Schweiß, Angst und trockener Würdelosigkeit. Sie alle hatten fahle Haut und sahen ungesund aus.
    Daran hat sich bis heute nichts geändert.
    Doch das kann er zuhause niemandem erzählen, denn keiner wird es begreifen. Für die deutsche Jugend sind Soldaten Dreck, opportunistischer Abschaum, der nicht verweigert hat, oder abgehauen ist nach Berlin, wo man einen nicht ziehen kann. Die Studierten lachen sich kaputt über die kurzhaarigen Idioten, die im Dreck robben und zwölf Pfund in sechs Monaten verlieren, weil die Grundausbildung so was von hart ist.
    Wobei das mit dem Verweigern ziemlich schwierig ist, und nach Berlin abhauen, wo sie einen nicht ziehen können, wollte Thomas nicht. Auch nicht ein halbes Pfund Kaffeepulver essen, was sowieso ein alter Trick ist. Der Stabsarzt betatschte Thomas’ Hoden, grinste und schrieb ihn dienstfähig. Sie scheinen genau die richtige Größe für die unförmigen olivfarbigen Militärhosen zu haben, oder warum muss man sie schwenken, um einen Soldaten einzugliedern? Verweigern? Nur über die Leiche des hageren Arztes.
    Diese Nichtachtung kompensiert ein Soldat mit Alkohol oder man legt einem der Schwachen, von denen es auf jeder Stube einen gibt, einen toten Fisch unter das Kopfkissen oder scheißt jemandem mitten aufs Laken, was garantiert zu Tränen einerseits und Gelächter andererseits führt, während aus einem billigen Kassettenrekorder Pink Floyd die dunkle Seite des Mondes suchen. Oder man vertauscht nachts, wenn der Unteroffizier von Dienst pennt, die Schuhe in anderen Stuben, oder poliert einem Schnarchenden die Schlaferektion mit Schuhcreme. Nach der Grundausbildung heißt es TTV. Täuschen, tarnen und verpissen! Dann interessiert sich keiner mehr für einen, jedenfalls die meiste Zeit nicht. Das alles lenkt ab und bringt den Spaß, von dem manche später sagen werden, es sei bei der Bundeswehr eine schöne Zeit gewesen. Vermutlich die Ärmsten, denen man den Schwanz poliert hat und die eine Beschönigung brauchen, um nicht den letzten Rest Selbstachtung zu verlieren.
    Für Thomas ist es keine schöne Zeit, denn er macht alles das mit, als fantasievoller Täter wohlgemerkt, manchmal ist er sogar Rädelsführer und er schämt sich dafür. Verdammt, er verroht so schnell, dass er es selbst kaum mitkriegt.
    Er erinnert sich, wie er Heinz, der betrunken unter der Dusche zusammengebrochen war, auf den Rücken hob und der Lallende prompt zu kacken anfing. Auf dem Weg in die Stube entleerte Heinz sich von Thomas’ Rücken, Kötel für Kötel plumpsten auf den Flur, was keinen interessierte, auch nicht die Offiziere, die zwei Stockwerke über einem genauso besoffen waren. Wegputzen hatte Zeit.
    Scheiße muss sein.
    Das stählt den Soldaten!
    Ein Weg voller Scheiße, von der Dusche zur Stube, gleichwohl getragen wie ein Verletzter, den man vom Feld in den Schützengraben rettet. Wenn das keine Metapher ist ...
    Oh ja, die Gemeinsamkeit wird gefördert. So will das die Bundeswehr. Verbundenheit durch Harmonie.
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