Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin
Autoren: César Aira
Vom Netzwerk:
Augenblick sah er ihn nicht. Danach hielt er ihn für eine Ratte. Er nagte gerade die verfaulten Reste eines Stars ab. Überhaupt war er ein solch merkwürdiges Wesen, dass er alle Erwartungen rechtfertigte. Er spottete dem normalen Aussehen eines Fasans, hatte nicht einmal einen Schwanz, und sein Gerippe war so stark gewölbt, dass er wie ein Buckliger aussah. Endlich verschlug es dem Oberst die Sprache.
    «Aber er ist ja gar nicht golden, er ist grau!»
    Erna lachte.
    «Das sagen alle, wenn sie ihn zum ersten Mal sehen. Warten Sie, bis er sich bewegt.»
    Zappelnd zerrte er an seiner Beute. Doch erst als er zittrigen Schritts zur Tränke ging, bemerkte der Oberst, dass das, was er für Grau gehalten hatte, in Wirklichkeit die feinste Nuance von Gold war. Begeistert berichtete Erna, dass sie mit seiner Produktion die fünfzig goldenen Weibchen befruchtet habe, die sie besaß. Nur wenige Züchter, einige kleinere Könige eingeschlossen, verfügten über ein Zuchttier von solcher Qualität.
    Der Oberst stand lange wie angewurzelt beim Drahtzaun und starrte den Fasan an.
    «Gehen wir», sagte Erna. «Ich möchte Ihnen noch etwas anderes zeigen.»
    Sie führte ihn zur nächstgelegenen Baumwand, hinter der sich ein steiler Abhang auftat. Unten schlängelte sich ein Bach und bildete quadratische Becken, die sie zu Wassergehegen mit Pontons und Stegen hatte umbauen lassen. Alles, was nötig war, um die Fasane zu baden.
    «Das System», erklärte sie, «ist den englischen Schafbädern nachgebildet. Fasane und Schafe könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein, aber sie haben eines gemeinsam: Sie sind wasserscheu und wenden die gleichen Tricks an, um nicht nass zu werden.»
    Sie gingen den halben Abhang hinunter und setzten sich auf zwei Felsen. Das Spektakel, das sich unten in dem Amphitheater abspielte, war eine Augenweide. Zehn junge Indianer tummelten sich im Wasser und fingen die Fasane ein, tauchten sie brutal unter und führten mit ihnen plumpe amphibische Gefechte unter tosendem Gespritze.
    «Das ist ja Wahnsinn!», rief der Oberst lachend. «Die werden sie noch umbringen!»
    «Von wegen», sagte Erna mit verträumter Stimme. «Sehen Sie gut hin.»
    Da beobachtete er das Spiel in aller Stille… Nach und nach schien er in einen Traum oder eine Szene aus einer jenseitigen Welt einzutreten. Das Wasser brachte die miteinander ringenden Tagelöhner und Fasane zum Glänzen. Er spürte in sich eine seltsame Spannung, die Unruhe, den plötzlichen Wunsch. Die Zuchtfarm war ein Kinderspiel ohne Folgen. Da erschrak er. Sie war eine Verkörperung der Sodomie. Ein falscher Schritt konnte zur Vernichtung führen.
    Espina war nicht so naiv zu glauben, dass er in allen Leben, die er hätte führen können, auch dort gesessen und so sehnsüchtig diesen nackten Kuroi zugesehen hätte. Er wusste, dass sein persönliches Sodom die Summe aus unzähligen Umständen war, die sich schließlich in dem ewigen Augenblick seiner Geschlechtsfindung als Individuum kristallisierten. Aber die Realität selbst war nichts anderes: eine zufällige Szene.
     
     
    Mitten im Winter schlüpften die ersten Exemplare. Nach einer Woche war das erste Kontingent von Fasanen in den riesigen Mastkäfigen untergebracht. Nachdem sich eine gewisse Routine eingestellt hatte, nahm alles seinen natürlichen Lauf, so dass sie sich nach Monaten ununterbrochener Arbeit zum ersten Mal entspannen konnten. Die jungen Leute stellten fest, dass die Anstrengung sie ausgelaugt hatte. So sehr, dass sie kaum mehr ein Wort herausbrachten; jeder Schritt kam ihnen gigantisch vor; der Lauf der Zeit selbst lastete auf ihnen. Außerdem sahen sie, wie müde die hochschwangere Erna war; sie war ausgemergelt, hatte Ringe unter den Augen. Sie begriffen nicht, wie sie das durchhielt. Jedenfalls war offensichtlich, dass Urlaub vonnöten war. Und da die Zuchtfarm in der gegenwärtigen Lage mit einer minimalen Überwachung auskam, stand dem auch nichts entgegen, so dass sie beschlossen, zur malerischsten Jahreszeit an irgendeinen malerischen Ort zu reisen und sich auszuruhen. Die Kälte legte Untätigkeit geradezu nahe.
    Es fiel ihnen nicht schwer, Erna zu überzeugen. Seit einiger Zeit hegte sie den gleichen Plan. Die winterliche Stimmung versetzte sie in diese Traumzustände. Über den Alltag hatte sich ein leichter Schleier des Überdrusses gelegt, der wahrscheinlich das Ergebnis des Druckabfalls war. Die radikalste Kur war ein Urlaub; und in der Ferne zu versinken, in einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher