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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin
Autoren: César Aira
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begonnen.
    Am nächsten Tag brachen sie in aller Frühe auf und ritten den ganzen Morgen, ohne ein Wort zu wechseln, ohne sich zu beeilen, immer geradeaus Richtung Süden. Gegen Mittag lag das bekannte Gebiet bereits hinter ihnen. Allmählich war die Stille spürbar, der Geschmack nach freier Verfügung. Auch Erna spürte es. Der Schnee, der auf ihren Sonnenschirm fiel, war Reinheit. Diese Frische, dieses Verjüngungsgefühl, katapultierte sie, wie schon so oft in der Vergangenheit, in eine leere Welt hinaus.
    Sie hielten an, um die Vögel zu essen, die sie auf dem Weg entlang eines unbekannten Baches gefangen hatten. Wo sie wohl waren? Auf den Karten war dieser Wasserlauf nicht verzeichnet. Aber sie entfernten sich ja auch vom Flussgebiet des Pillahuinco, wodurch ihnen alles fremd vorkam. Nach der Siesta setzten sie sich wieder in Marsch, diesmal in Richtung Südwesten, was zwar ein Umweg war, womit sie aber den Gebirgen aus dem Weg gingen. Den ganzen Nachmittag, der länger war, als sie erwartet hatten, ritten sie still vor sich hin, schliefen fast ein. Die Pferde trotteten wie im Traum. Sie durchquerten weitläufige weiße Heidegebiete, wo ab und zu ein Sperber unter bleiernen Wolken kreiste. Als kaum noch ein Lichtstreifen zu sehen war, schlugen sie die Zelte an einem weiteren Bach auf, zwischen natürlichen Mauern aus Stein. Zuerst sattelten sie die Tiere ab und stellten sie im Schutz der Felswände unter. Kurz darauf waren die Pferde eingeschlafen. Sie selbst hingegen waren kein bisschen müde: Sie fegten den Schnee von den Steinen und machten ein Feuer, um Kaffee und Tee zu kochen. Eine Gruppe zog los, um im Dunkeln zu jagen. Vor Mondaufgang konnte man die Riesenotter, die bei ihnen «Flusswölfchen» hießen, leichter fangen. Ein Gewitter drohte, brach aber nicht los. So verging die Nacht. Gelegentlich schlichen Blitze den Horizont entlang. Ab und zu fiel Schnee.
    Kurz vor Tagesanbruch herrschte eine Stunde lang eine schwebende Stille, so dass alle einschliefen. Die Ersten, die aufwachten, erhoben sich leise, setzten sich ohne Sattel aufs Pferd und brachen zu einem Erkundungsritt auf. Die phantastische Natur der Gegend hatte sie neugierig gemacht. Auf einigen, nicht weit entfernten Terrassen entdeckten sie einen Fuchs, der schwarz wie der Teufel und groß wie ein Kalb war. Seine Schnauze war spitz, sein Schwanz ähnelte dem eines Ameisenbären, war aber wendig wie der eines Vogels. Im Halbdunkel des frühen Morgens hatten sie kaum Zeit, ihn zu betrachten. Schon huschte er auf den vereisten Stufen fort.
    Am zweiten Tag der Reise ging es, da sie immer wieder von Jagdepisoden und Ruinenbesuchen unterbrochen wurde, lebhafter zu. Sie ließen die Gebirge hinter sich und kamen in eine eisige Tundra. Die Pferde versanken bis zur Brust im Schnee. Wegen ihrer runden Bäuche zogen sie eine merkwürdige Spur.
    Sie sahen einen spektakulären Wasserfasan. Eine Weile verfolgte sie eine Möwenschar.
    Die Nacht überraschte sie auf offenem Feld. Die Wolken verdichteten sich, es wurde dunkel. Sie blieben, wo sie waren. Einige sagten, sie könnten, nicht allzu weit entfernt, die Höhenzüge sehen. Sie mussten warten, bis der Mond aufging, um es zu überprüfen. Da war er, der große Schatten. Sie befanden sich praktisch am Fuße des Berges. Sie schliefen tief, wie Tote.
    Am nächsten Morgen war ihre Ungeduld so groß, dass sie nur schnell eine Tasse Kaffee tranken.
    Wie so oft war die Klippe weiter entfernt als angenommen. Es war ihnen aber nicht unrecht, dass sich der Weg etwas hinzog. Sie fragten sich, wo die Höhlen wohl lagen. Der Fels sah massiv aus, wie aus einem Guss. Wurden sie von den Büschen verdeckt? Waren sie eingestürzt?
    Noch ein Schritt, und sie sahen sie, auf halber Höhe: die eine rund, die andere herzförmig. Zwei breite, schwarze Eingänge hoch droben. Die Höhlen schienen sie zu erwarten. Es herrschte absolute Stille.
    Bob lenkte sein Pferdchen neben das von Erna.
    «Na also», sagte er, «da sind wir ja, direkt vor den tragischen Höhlen. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Berg je kennen lernen würde.»
    «Macht keinen freundlichen Eindruck. Wie kommen wir da nur hoch?»
    Er deutete auf einen in den Stein gehauenen Serpentinenpfad, der teilweise Stufen aufwies. Erna musterte ihn misstrauisch.
    «Schaffen das auch die Pferde?»
    «Ich furchte, nein. Es ist zu steil und zu eng.»
    Ein Mädchen, das gerade in der Nähe ritt, sagte:
    «Der Legende nach geht das Geisterpferd von Oberst Olivieri jede Nacht
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