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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin
Autoren: César Aira
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ein und aus.»
    «Die Gespenster sind offenbar wendiger als unsere dicken Rösser.»
    Sie betrachteten die Einsamkeit.
    «Wirkt alles wie tot. Kann es sein, dass nie jemand hierher kommt? Wenigstens werden wir unsere Ruhe haben.»
    «Da oben muss es sehr still sein.»
    Andere schienen besorgt: Sie fragten sich, ob es Wild gab. Sie sahen keinen einzigen Vogel.
    «Es gibt keinen Ort, an dem es kein Wild gibt», sagte Bob. «In den Bergen wimmelt es von Ziegen und Schweinen. Und auf der anderen Seite ist das Meer. Der Strand quillt jeden Morgen über von Muscheln und Krebsen, ihr werdet schon sehen.»
    Als sie ankamen, führten sie die Pferde in eine Art steinernes Gehege, das in Ruinen lag. Sie versperrten den Eingang mit Baumstämmen. Drinnen, wo der Schnee nicht hingelangte, wuchs Hibiskus. Sie sahen, wie die Pferde daran knabberten und sich dann schlafen legten.
    Auf den Stufen lag Schnee und darunter eine tückische graue Eisschicht, so dass sie ganz langsam hinaufgehen mussten, Erna an Bobs Arm. Die Kinder schlugen alle Warnungen in den Wind und rannten, immer den Abgrund entlang, hinauf. Doch als sie an den Eingängen ankamen, trauten sie sich nicht hinein. Auch die Erwachsenen blieben stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Sie befanden sich in hundert Metern Höhe, auf einem großen, runden Balkon. Von dort aus bot sich ihrem Blick eine weite, verschneite Ebene. Am Horizont deutete ein dunkler, von blauen Bergsilhouetten unterbrochener Saum an, wo der Wald lag. Unten, wie graue Spielzeuge, die Pferde. Kein Lüftchen wehte. Sie drehten sich um. Sie standen auf der Schwelle, vor dem Dunkel.
    «In welche gehen wir zuerst?», fragte Erna.
    «Die mit dem Herz sieht einladender aus.»
    «Gerade deswegen werden wir vorher die andere erkunden. Sie war der Kerker. Ich wette, dass wir uns im Herz einquartieren werden, aber es kann nicht schaden, sich alles mal anzusehen.»
    Sie zündeten Papierlampen an, die draußen unsichtbar waren, und gingen Hand in Hand in die Höhle hinein. Anfangs waren sie blind, doch dann gab das Auge allmählich den dunklen Andeutungen nach. In der Luft lag ein abgestandener Pilzgeruch. Der Fels war mit allen möglichen Moosarten überzogen, die an manchen Stellen so üppig wucherten, dass sie taschenartige Wulste bildeten. Seit unzähligen Jahren ungestört, woben die Spinnen ihre Netze. Sie beobachteten die Eindringlinge mit gelassenem Erstaunen.
    Weiter drinnen sahen sie im Stein die verrosteten Fußfesseln, die die «Offiziere von König Bomba» benutzt hatten, um die häufigen Aufstände in der Kolonie zu ersticken. Schwer waren sie, übermenschlich.
    Die Umgebung war in vollkommene Finsternis getaucht. Die Laternen flackerten und hängten das Licht fast bis an die Decke. Sie glaubten, Blutflecken zu sehen.
    Dort, wo das Moos abgefallen war, sah man in den Stein geritzte Zeichnungen, Hieroglyphen, die wie eine Aureole um jede Fußfessel lagen, genau an der Stelle, wo ein Gefangener dahingesiecht war.
    «Wie ich gehört habe», sagte Erna, «ist diese Höhle über Durchgänge mit der anderen verbunden.»
    «Selbstverständlich. Das war ja der Schlüssel zum Erfolg der Meuterei. Aber es kann Tage dauern, bis wir die Verbindung finden. Da ist es praktischer, wir gehen hier raus und drüben wieder rein.»
    Das taten sie denn auch. Die Höhle mit dem Herzeingang war viel breiter, weniger bedrückend. Eine Naturgrotte: Man hatte lediglich die Gänge gegraben, den einen oder anderen Durchgang vergrößert. Der hohle Berg. Hier hatte der ruchlose Oberst mit seiner Frau gewohnt, was auch der Grund für die Allegorie des Eingangs war. Ohne ihn zu kennen, war sie aus Europa gekommen und in der Nacht des Aufstands mit ihm geköpft worden.
    Hier stellten sich bei den Touristen andere Gefühle ein, eher romantischer Natur, weniger schaurig als die in der vorigen Höhle. Sie gingen durch ein gerades Rohr und gelangten in einen über zwanzig Meter hohen Saal. Durch Verwerfungen an der Decke herrschte ein indirektes Licht, das die Laternen überflüssig machte. Regloses Steinlicht. Durch zahlreiche Öffnungen drang es auch in andere, kleinere Räume.
    Die Höhle gefiel ihnen. Hier würden sie bleiben, denn hier waren sie in der Nähe des Eingangs und doch geschützt. Weil die Decke so hoch und von unsichtbaren Rissen durchzogen war, konnten sie sogar Feuer machen. Der Felsboden war warm, wie sie durch die Matten hindurch spürten. Vielleicht war der Berg ein Vulkan, unter dem Feuer brodelte. Wind war nicht zu
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