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Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2

Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2

Titel: Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
Autoren: Arthur Conan Doyle
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und zog den Brief aus der Tasche. »In Ihrem Hotel ist keine kranke englische Dame?«
      »Ganz bestimmt nicht«, rief er, »obwohl der Brief das Zeichen des Hotels trägt. Ha! Der große Engländer muß das geschrieben haben, der ankam, als Sie weg waren. Er sagte –«
      Aber ich wartete die Erklärung des Wirts nicht ab. Von stechender Angst getrieben, rannte ich sofort die Dorfstraße zurück und auf den Pfad zu, den ich gerade erst herabgekommen war. Mehr als eine Stunde hatte ich gebraucht, hinunterzugelangen. Trotz aller Anstrengung vergingen zwei Stunden, ehe ich beim Wasserfall von Reichenbach wieder ankam. Da lehnte Holmes’ Bergstock noch immer an dem Fels, wo ich meinen Freund verlassen hatte. Aber von ihm sah ich nichts mehr, und vergebens rief ich seinen Namen. Die einzige Antwort war meine eigene Stimme, die von den Felsen rings als kraftvolles Echo zurückgeworfen wurde.
      Es war der Anblick des Bergstocks, der mich vor Kälte erschauern ließ, und dabei wurde mir übel. Er war also nicht nach Rosenlaui gegangen! Er war auf diesem drei Fuß breiten Pfad geblieben – auf der einen Seite nichts als Felsen, auf der anderen nur der Abgrund –, bis sein Feind ihn eingeholt hatte. Der junge Schweizer war auch verschwunden. Moriarty hatte ihn offensichtlich bezahlt, und er hatte die beiden Männer allein gelassen. Was war dann geschehen? Wer konnte mir davon berichten?
      Einige Minuten stand ich und sammelte mich, denn ich war benommen vor Schreck. Dann besann ich mich auf Holmes’ Methoden und versuchte, sie bei der Entschlüsselung seiner Tragödie anzuwenden. Das war – leider – eine nur zu leichte Aufgabe. Als wir uns dort unterhielten, waren wir den Pfad nicht zu Ende gegangen, und der Bergstock bezeichnete die Stelle, wo wir gestanden hatten. Der schwärzliche Boden ist durch den unablässig heranwehenden Wasserstaub immer weich, so daß selbst der Abdruck einer Vogelkralle zu sehen gewesen wäre. Zwei Reihen von Fußabdrücken zeichneten sich deutlich ab, sie gingen bis ans Ende des Pfads. Keine verlief in umgekehrter Richtung. Einige Yards vor dem Ende des Pfads war der Boden aufgewühlt und in Matsch verwandelt, und die Brombeeren und Farne, die am Rand des Abgrunds wuchsen, waren zerzaust und verschmutzt. Ich legte mich auf den Bauch und blickte hinunter, vom Wasserstaub umdunstet. Es war dunkler geworden, und ich konnte jetzt in der Tiefe nur da und dort das Glitzern der Feuchtigkeit an den schwarzen Wänden sehen und ganz unten den Schimmer des sich brechenden Wassers. Ich rief, aber nur das menschenähnliche Schreien des Wasserfalls drang als Antwort an mein Ohr.
      Dennoch war mir bestimmt, nach allem ein letztes Grußwort von meinem Freund und Kameraden zu erhalten. Ich habe schon erwähnt, daß sein Bergstock an einem Fels lehnte, der gegen den Pfad vorsprang. Etwas Schimmerndes, das oben auf dem Brocken lag, erregte meine Aufmerksamkeit, und ich langte hinauf. Es war das silberne Zigarettenetui, das er stets bei sich trug. Als ich es ergriff, fiel ein zusammengeknifftes Papierpäckchen zu Boden, das unter dem Etui gelegen hatte. Ich entfaltete es und entdeckte, daß es aus drei Seiten bestand, die aus seinem Notizbuch herausgerissen und an mich adressiert waren. Charakteristisch für Holmes, liefen die Zeilen so gerade und die Schrift so regelmäßig, als wäre der Brief in seinem Arbeitszimmer geschrieben worden.
      ›Mein lieber Watson‹, stand da. ›Diese wenigen Zeilen kann ich dank dem Zuvorkommen von Mr. Moriarty schreiben, der darauf wartet, daß ich mit ihm jene Fragen bespreche, die zwischen uns offengeblieben sind. Er hat mir in Kürze auseinandergesetzt, wie er der englischen Polizei entgangen ist und wie er sich über unsere Bewegungen informiert hat. Sein Bericht bestätigte mich in der hohen Meinung, die ich mir von seinen Fähigkeiten gebildet hatte. Ich bin froh, daß es mir gelingen wird, die Gesellschaft von den Auswirkungen seines Daseins in Zukunft zu befreien, obwohl das mir, wie ich fürchte, nur um einen Preis gelingen kann, der für meine Freunde, besonders für Sie, Watson, schmerzlich sein wird. Doch ich habe Ihnen schon erklärt, daß meine Karriere auf jeden Fall ihren Höhepunkt erreicht hat und daß kein möglicher anderer Abschluß ihr mehr entsprechen könnte als dieser. Und wenn ich Ihnen etwas gestehen darf: Ich war fest davon überzeugt, daß der Brief aus Meiringen eine Finte war, und ich gestattete Ihnen, dem Ruf zu folgen, in der
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