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Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2

Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2

Titel: Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
Autoren: Arthur Conan Doyle
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eintrafen und dort im ›Englischen Hof‹ abstiegen, der damals von Peter Steiler dem Älteren betrieben wurde. Unser Wirt war ein intelligenter Mann und sprach hervorragend englisch, denn er hatte drei Jahre als Kellner im Hotel ›Grosvenor‹ in London gearbeitet. Auf seinen Vorschlag brachen wir am Nachmittag des 4. zu einer Wanderung über die Berge auf. Es war unsere Absicht, die Nacht im Weiler Rosenlaui zu verbringen. Man hatte uns nachdrücklich eingeschärft, daß wir unter keinen Umständen an den Wasserfällen von Reichenbach, die auf halbem Weg liegen, vorübergehen, sondern den kleinen Umweg auf uns nehmen sollten, um sie zu besichtigen.
      Das ist in der Tat ein schauerlicher Ort. Der Gebirgsbach, vom schmelzenden Schnee angeschwollen, stürzt in einen gewaltigen Abgrund, aus dem der Wasserstaub aufsteigt wie der Rauch von einem brennenden Haus. Die unermeßliche Tiefe, in die der Strom hinunterwirbelt, wird von glänzenden, pechschwarzen Felsen zu einem schäumenden, kochenden, unergründlichen Kessel eingeengt, der überflutet, so daß der Strom über den gezackten Rand hinausschießt. Die lange Schleppe grünen Wassers, das stetig herniederdonnert, und der dichte glitzernde Vorhang aus Wasserstaub, der stetig aufsteigt, machen einen mit ihrem unaufhörlichen Wirbeln und Getöse schwindlig. Wir standen am Abgrund und schauten hinab in das Glitzern des Wassers, das sich tief unter uns an den schwarzen Steinen brach, und lauschten auf das menschenähnliche Schreien, das mit dem Wasserstaub aus der Tiefe empordröhnte.
      Der Pfad ist auf halber Höhe des Wasserfalls in den Fels gehauen, um eine gute Aussicht zu gewährleisten, endet aber jäh, und der Wanderer muß auf demselben Weg zurückkehren, den er gekommen ist. Wir hatten uns eben umgewandt, um wieder zu gehen, als wir einen Schweizer Jungen mit einem Brief in der Hand auf uns zulaufen sahen. Das Schreiben trug das Firmenzeichen des Hotels, das wir gerade erst verlassen hatten; es war vom Wirt an mich gerichtet. Danach schien es, daß wenige Minuten nach unserem Aufbruch eine englische Dame eingetroffen sei, die sich im letzten Stadium der Schwindsucht befand. Sie hatte den Winter in Davos zugebracht und hatte nun die Reise zu Freunden in Luzern angetreten, als sie plötzlich ein Blutsturz ereilte. Man nahm an, sie würde die nächsten Stunden nicht überleben, meinte aber, es würde ihr eine große Erleichterung bereiten, wenn ein englischer Doktor sich um sie kümmerte, weshalb ich zurückkehren solle, etc. etc. Der gute Steiler versicherte mir in einem Postskriptum, daß er meine Bereitschaft als einen großen Gefallen betrachten würde, da sich die Dame entschieden weigere, einen Schweizer Arzt zu konsultieren, und er das Gefühl habe, an einer schweren Verantwortung zu tragen.
      Das war ein Appell, der nicht ignoriert werden konnte. Es war unmöglich, der Bitte einer Landsmännin, die in einem fremden Land starb, nicht zu entsprechen. Dennoch hatte ich Skrupel, Holmes allein zu lassen. Schließlich kamen wir überein, er sollte den jungen Schweizer Boten als Führer und Gefährten bei sich behalten, während ich nach Meiringen zurückkehrte. Mein Freund wollte, wie er sagte, noch ein wenig am Wasserfall verweilen und dann langsam über den Berg nach Rosenlaui wandern, wo ich am Abend wieder zu ihm stoßen sollte. Als ich losging, sah ich Holmes mit dem Rücken an den Fels gelehnt stehen; die Arme vor der Brust verschränkt, starrte er in den Wasserschwall hinab. Das war das letzte, das mir von ihm in dieser Welt zu sehen bestimmt war.
      Kurz vor Ende meines Abstiegs schaute ich zurück. Es war von jener Stelle aus unmöglich, den Wasserfall zu erblicken, aber ich konnte den gewundenen Pfad sehen, der über den Grat auf den Wasserfall zu läuft. Auf ihm, erinnere ich mich, schritt ein Mann sehr schnell dahin. Die schwarze Gestalt hob sich deutlich gegen den grünen Hintergrund ab. Zwar registrierte ich sie und den Nachdruck, mit der sie ging, aber sie geriet mir wieder aus dem Sinn, als ich weiterging, meinen Auftrag zu erfüllen.
      Es mag ein wenig mehr als eine Stunde gekostet haben, bis ich Meiringen erreichte. Der alte Steiler stand vor der Hotelhalle.
      »Nun«, sagte ich, als ich heran war, »ich hoffe, es geht ihr nicht schlechter.«
      Ein Ausdruck von Überraschung ging über sein Gesicht, und beim ersten Runzeln seiner Brauen wurde mir das Herz schwer wie Blei.
      »Sie haben das nicht geschrieben?« sagte ich
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