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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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sich Godfrey ein. »Und selbst wenn – wer macht denn solche Gesetze? Und wen geht es was an, ob sie beschließt, sich unter den Armen einen Wald wachsen zu lassen?«
    Charity rieb sich die Augen.
    »Es wirkt schmutzig«, sagte Mutter. »Die Leute werden meinen, sie sei ungepflegt.«
    »Warum können sich die Leute nicht um ihren eigenen Dreck kümmern?«, fragte Godfrey. »Warum müssen sie rumlaufen und anderer Leute Achselhöhlen inspizieren? Schließlich war es Gott, der gemacht hat, dass die Haare da sind, und der muss doch einen Grund dafür gehabt haben.«
    Charity schniefte.
    »Du hast übrigens tatsächlich recht«, sagte ich. Nicht weil ich der Ansicht war, dass Mädchen mit einem Dschungel unter den Armen rumlaufen sollten, sondern schlicht weil ich meiner lieben Schwester in ihrer Not zu Hilfe kommen wollte. »Wissenschaftler behaupten, die Haare an dieser Stelle dienen dazu, Pheromone auszusenden.«
    »Was sind Pheromone?«, fragte Eugene.
    »Das sind Gerüche, die Männer und Frauen absondern, ohne etwas davon zu merken«, erklärte Vater. »Sie spielen eine Rolle bei der Anziehung zwischen Mann und Frau.«
    Das war das Eine, was Krankheit und Armut ihm nicht hatten nehmen können. Vater war ein wandelndes Lexikon, und er blätterte so geschwind und präzise in seinen Seiten wie ein Zauberer. Er kannte jede wissenschaftliche Theorie und jede Stadt im Atlas; er kannte jedes Wort im Wörterbuch und jeden Vers in der Bibel. Nur schade, dass er sich für all sein vieles Wissen nichts kaufen konnte.
    »Ach so«, sagte Eugene mit ernstem Gesicht. »Deswegen starrt der Boy aus dem dritten Stock sie immer so an, wenn sie aus der Schule kommt. Vermutlich kann sie also gar nichts dafür, was für Leute sich von ihren Pheromonen angezogen fühlen.«
    Er musste so über seinen Witz lachen, dass er sich verschluckte, während wir anderen alle unsere Belustigung aus Solidarität mit Charity zu verbergen versuchten. Mit einer Ausnahme allerdings. Mein Vater setzte eine so eisige Miene auf, dass die tanzenden Muskeln in Eugenes Gesicht augenblicklich gefroren. Wir anderen senkten die Blicke wieder auf unsere Teller. Meiner war schon leer. Es waren kleine Szenen wie diese, die es mir leichter machten zu vergessen, wie sehr unsere Mahlzeiten nach Sägemehl schmeckten.

2

    Vorsichtig, um den neben mir schlummernden Godfrey nicht zu wecken, kroch ich aus dem Bett und zog eine lange Hose und ein T-Shirt über. Mit einem schlechten Geschmack im Mund und einem Haarschopf, der in alle Richtungen abstand wie eine billige Anwaltsperücke, machte ich mich in die Küche auf, durch die fast alle in unserem Haus ein- und ausgingen. Der eigentliche Eingang war besonderen Gästen vorbehalten. Leuten wie den Schwestern meines Vaters und dem Rektor meiner Schule.
    »Bro Kingsley, guten Morgen«, meldeten sich Odinkemmelu und Chikaodinaka.
    Sie standen immer schon früh auf, um mit ihrer Hausarbeit zu beginnen.
    »Bro Kingsley, du war weit weg, oder soll wir dein Frühstück verwahren für wenn du wiederkommen bist?«, fragte Odinkemmelu.
    Es war nicht seine Schuld, dass seine Verbformen verrückt spielten. Bis er ungefähr zwei Jahre zuvor zu uns gezogen war, hatte Odinkemmelu sein Dorf nicht verlassen und nur einen einzigen englischen Satz beherrscht: »Will essen.« Mit der Zeit war sein Wortschatz größer geworden, aber bei den Verben war er nie ganz sicher, ob er in der Gegenwart stand oder in der Vergangenheit weilte.
    Obwohl er bloß um mindestens sieben Ecken mit mir verwandt war, wurde Odinkemmelu uns als Cousin vorgestellt. Chikaodinakas Verwandtschaftsgrad war leichter nachzuvollziehen. Sie war die Nichte eines Cousins meines Vaters. Beide, Odinkemmelu wie Chikaodinaka, leisteten ihre Dienste ohne Bezahlung. Nicht einmal Freundlichkeit war ihr Lohn. Aus dem Dorf zu Verwandten in der Stadt zu ziehen war für viele die einzige Möglichkeit, die sich ihnen im Leben bot, um Englisch zu lernen, fernzusehen, in einem Haus mit elektrischem Strom und fließend Wasser zu wohnen oder einen Beruf zu lernen.
    »Ich will nur eben zur Post«, antwortete ich. »Ich esse, wenn ich wiederkomme.«
    Ich trat hinaus in den frischen Morgen und schritt flott im Tempo der munteren Melodie aus, die in meinem Herzen spielte. Dies konnte der Tag sein, der mein ganzes Leben verändern würde. Ein paar Minuten lang wurde die frühmorgendliche Stille nur durch das Herumtanzen trockener Blätter und Papiermülls in der leisen Brise des Harmattan
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