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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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gestört. Dann kam ein neues Geräusch hinzu.
    »Kommt und öffnet euch dem göttlichen Wirken! Denn mit Gott ist nichts unmöglich!«
    Bim! Bim!
    »Kommt und lasst euch von Gott berühren! Unser Gott ist ein Gott der Wunder!«
    Bim! Bim!
    Und schon traf ich auf eine Gruppe junger Männer und Frauen in weißen T-Shirts und schwarzen Hosen beziehungsweise Röcken. Ihre T-Shirts waren mit irgendwelchen Bibelsprüchen bedruckt; sie klatschten und tanzten und sangen christliche Lieder. Die meisten schlugen auf Tamburins. Einer brüllte in ein Megaphon.
    »Kommt und lasst euch von Gott berühren!«, schrie er.
    »Euer Leben wird sich zum Guten wenden!«
    Ich kannte diese Form von »Morgenruf« aus meinem Studium. Im Studentenheim hatten sich manchmal in aller Herrgottsfrüh, bevor die anderen aufwachten, ein paar Studenten strategisch geschickt in den Fluren verteilt und die Botschaft von Jesus Christus verkündet. Sie wurden von verschlafenen Studenten beschimpft.
    »Haut ab und lasst uns schlafen!«
    »Gott strafe euch Prediger alle!«
    »Ohhhhhhhhhhh! Lasst uns doch bloß in Frieden! Bitte! Bitte! Bitte!«
    Einmal hatte einer meiner Mitbewohner sogar die Tür aufgerissen und einem dieser selbsternannten Erweckungsprediger einen Becher Wasser ins Gesicht gekippt. Der Überbringer der »guten Nachricht« hatte ihm darauf lediglich die andere Wange hingehalten und seinen Morgenruf fortgesetzt. Jetzt kam einer jener beseelten Menschen auf mich zu, um mir einen bunten Flyer in die Hand zu drücken. Geschickt wich ich ihm aus und setzte meinen Weg fort. Religiöse Fanatiker waren das Letzte, was ich in meinem Leben gebrauchen konnte.
    Der Innenhof des Postamts lag so verlassen da wie ein Schulhof am Ersten Weihnachtstag. Ich marschierte schnurstracks zum Fach mit der Nummer 329 und steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch. Drinnen lag ein Umschlag aus Manilapapier, auf dem in sauberen Druckbuchstaben mein Name stand. Die Schmetterlinge in meinem Bauch begannen heftig zu flattern. Ich entnahm das dünne weiße Blatt Papier und faltete es mit einer schwungvollen Bewegung auseinander, der anzusehen war, dass ich es nicht zum ersten Mal machte. Doch dann stockte mir das Herz.

    Sehr geehrter Mr Kingsley O. Ibe,

    Betr: Ihre Bewerbung um die Stelle als ChemieIngenieur (shp06/06/9904)

    Zu unserem Bedauern haben wir Ihnen die Mitteilung zu machen, dass Sie den Anforderungen …

    Das reichte, ich musste nicht weiterlesen. Ich zerknüllte den unangenehmen Brief in der Hand und schloss die Augen. Der Wind nahm meinen Kummer nicht zur Kenntnis und saugte einfach weiter die Feuchtigkeit aus meiner Haut, während er auf seiner Reise von der Sahara zum Golf von Guinea vorübersauste. Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand. Ich zwang mich, aus meiner Ohnmacht zu erwachen, und schloss das Fach ab. Ich wollte weinen, rennen, mich irgendwo verstecken, nie wieder einen Menschen sehen. Keinen – außer Ola. Ola wollte ich sofort sehen.
    Ola war der Zucker in meinem Tee. Mehr als vier Jahre war es her, dass sie mir in der Institutsbibliothek gegenübergesessen hatte und mir aufgegangen war, dass ich schon drei Jahre studierte und mich noch überhaupt nicht damit beschäftigt hatte, eine ernsthafte Beziehung einzugehen. Ich hatte es vor lauter Vorlesungen und Bücherlesen offenbar schlicht vergessen.
    An jenem Tag damals war ich in die Bibliothek geeilt, um vor dem nächsten Seminar noch schnell ein paar Minuten zu lernen. Die Mädchengruppe in der Ecke war kaum zu übersehen, sie kicherten in fünfzig Dur- und Molltonlagen. Andere Bibliotheksbenutzer warfen entnervte Blicke in ihre Richtung, aber sie setzten ihr Geplauder ohne Pause fort. Alles deutete darauf hin, dass sie Jambites waren. Adrettes Äußeres, übertriebenes Gehabe – es war nie schwer, die Erstsemester zu erkennen.
    Ola erregte meine Aufmerksamkeit. Ihr schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und aus einem schmalen Gesicht blitzten trotzig große braune Augen. Anders als bei den meisten Mädchen, die eine Vorliebe für gebleichte Haut entwickelt hatten, schimmerte ihre wie makelloses Ebenholz. Und sie wirkte unschuldig. Ich musste kein Experte in Frauendingen sein, um zu wissen, welche Mädchen sich mehr mit Männern herausgenommen hatten, als ihnen zustand, und welche Vampire waren – weibliche Draculas auf der Mission, dein Bankkonto leerzusaufen. Es war, als strömten diese Mädchen besondere Pheromone aus. Vielleicht hatte die Natur diesen
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