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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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damit es losgelassen wird, sondern damit die Leute seine Stimme hören und Zeuge sind.

1

    Die Geschmacksknospen auf meiner Zunge hatten schon eine Weile am Duft vernommen, dass meine Mutter kochte, und mein Magen hatte seine Stimme erhoben. Endlich rief sie aus der Küche, und meine Geschwister eilten hin, um sich ihr Essen zu holen. Als Opara, Erstgeborener, standen mir gewisse Sonderrechte zu. Ich setzte mich an den Esstisch und wartete. Bald erschien Mutter mit einem großen Plastiktablett, auf dem sich eine Emailleschüssel mit Wasser, ein flacher Aluminiumteller mit Garri und eine hübsche Keramikschüssel mit Egusi-Suppe befanden. Ich wusch mir die Hände und begann langsam zu essen.
    Die Suppe hätte eine sämige Mischung aus Ukazi-Blättern, kleingeschnittenem Trockenfisch und gekochten Fleischbrocken, rotem Palmöl und Maggiwürfeln sein sollen – so lange gekocht, bis alles zu einer saftigen Paste vermengt war. Doch was vor mir stand, war eine zwergenkleine Portion Fleisch, die mit ein paar Gemüsescheiben und vereinzelten Egusi-Stückchen in einer dünnen Flüssigkeit von der Farbe eines verschmutzten Baches schwamm.
    Das Fleisch sah mich an und lachte. Ich hätte sein Lachen erwidert, doch leider war die Situation alles andere als komisch. Meine Mutter war keine Novizin in der Küche. Dieses erbärmliche Mahl spiegelte die Verhältnisse in unserem Haus wider. Das Leben war schwer. Die Zeiten waren schlecht. Das war nicht immer so gewesen.
    Nach ihrem Abschluss in Textil- und Bekleidungstechnik war meine Mutter mit meinem Vater nach Großbritannien gegangen. Sie kehrten, mit Magisterurkunden bewaffnet, zurück. Vater bekam einen Posten im Ministerium für Energieversorgung, Wasser- und Straßenbau in Umuahia; Mutter erstand eine große Schneiderei, die sich immer noch an dem Ort befand, wo sie vor vielen Jahren gegründet worden war. Anfangs hatte mein Vater allein mehr als genug verdient, doch nach langjähriger Inflation ohne entsprechenden Anstieg seines Beamtengehalts war dies mit der Zeit nichts als ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen.
    Und dann erhielt mein Vater seine Diagnose. Als schlecht bezahlter Beamter mit einem Leiden wie Diabetes geschlagen zu sein war ein kaum zu überbietendes Unglück. Allein von den Ausgaben für seine Pillen und sein Insulin hätte man noch ein weiteres erwachsenes Kind ernähren können. Zudem waren ihm durch seine Diät die kohlenhydrathaltigen Grundnahrungsmittel verboten, die in unserem Teil der Welt üblicherweise in großen Mengen verzehrt werden, und er war nun auf gesündere, weniger erschwingliche Alternativen angewiesen. Das geringe Einkommen aus der Schneiderei und die Pension meines Vaters waren alles, was wir zum Leben hatten.
    Meine Mutter erschien abermals am Esstisch, diesmal mit einem anderen Tablett, auf dem sich das traurige Mittagessen meines Vaters befand. Ihr Kleid war mit der klebrigen schwarzen Flüssigkeit der unreifen Plantanen befleckt, aus denen sie den Brei für ihren Mann bereitet hatte. Sie stellte das Tablett am Kopfende des Tisches ab und setzte sich auf ihren Platz neben seinem.
    »Paulinus, komm essen«, rief sie.
    Mein Vater erhob sich aus seinem Lieblingssessel. Er schlurfte zum Esstisch und brachte den geballten Geruch von Medikamenten, Krankheit und Alter mit. Meine Geschwister setzten sich zu uns. Rechts von mir, zwischen Mutter und mir, nahm Charity Platz. Godfrey und Eugene setzten sich zu meiner Linken. Bald schwebten Schmatzen und Schlürfen, Kau- und Schluckgeräusche durch die Luft wie Gespenster. Hinzu kam die Stimme meines Vaters: »Augustina, ich brauche ein bisschen mehr Salz.«
    Meine Mutter ging einen Augenblick in sich. Da er auch unter Bluthochdruck litt, reduzierte sie täglich die Salzmenge an seinem Essen und hoffte, dass er es nicht bemerkte. Widerstrebend gab sie nach.
    »Odinkemmelu«, rief sie. Keine Antwort.
    »Odinkemmelu!«
    Die Antwort war Schweigen.
    »Odinkemmelu! Odinkemmelu!«
    »Ja, Ma!«, kam eine Stimme aus der Küche.
    Plötzlich war die Luft im Zimmer vom barbarischen Schweißgeruch eines Pubertierenden durchdrungen. Odinkemmelu war eingetreten. Er trug ein rostfleckiges weißes T-Shirt und Khakishorts mit ausgefransten Löchern an einigen peinlichen Stellen. Er und noch ein Mädchen, Chikaodinaka, waren vom Dorf gekommen, um bei uns zu wohnen. Keiner von beiden durfte mit uns am Esstisch sitzen.
    »Warum hast du so lange gebraucht, um zu antworten?«, fragte meine Mutter.
    »Mama
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