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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman
Autoren: Wolf Serno
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jedes Mal so schnell wie möglich davongelaufen.
    Doch heute war das nicht nötig. Ich war in Begleitung meiner Mutter, und meine Mutter verscheuchte die Bande. »Hör nicht auf die Rotznasen«, sagte sie und zog mich fort. »Da vorn ist unser Haus.« Sie schloss die Tür auf und ging an den Herd, wo sie das Feuer neu entfachte und Reis zu kochen begann, denn Signora Vascellinis Geiz hatte den Kauf eines Suppenhuhns verhindert. »Reis tut es auch«, meinte sie und verteilte anschließend etwas Gorgonzola auf den dampfenden Körnern.
    »Ja«, sagte ich.
    Wir sprachen gemeinsam das Tischgebet und aßen.
    Als wir fertig waren, legte meine Mutter den Löffel beiseite: »Und nun will ich wissen, warum du mir in die Stadt gefolgt bist. Ich hatte es dir ausdrücklich verboten, und du hast es trotzdem getan. Warum also?«
    Diese Frage hatte ich die ganze Zeit befürchtet, denn ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich zog die Stirn kraus und beschloss, es mit der Wahrheit zu versuchen: »Ach, nur so, ich wollte in der Stadt die Bienen angucken.«
    »Was für Bienen?«
    »Die Bienen, die immer summen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich hab sie genau gehört, Mamma! Hier hab ich sie gehört, die ganze Zeit, aber in der Stadt sind überhaupt keine Bienen.«
    Meine Mutter sah mich lange an. In ihren Augen standen Zweifel und Angst. Dann sagte sie wie zu sich selbst: »Vielleicht ist es nur das Summen in deinem Kopf.«
    Später hörte ich sie inbrünstig vor dem kleinen Hausaltar beten. »O Herr, du großer, gütiger Gott«, flehte sie, »sei gnädig und barmherzig. Gib, dass nicht wahr wird, was im Zweiten Buch Mose steht, verhindere es, verhindere es mit all deiner Macht …
und lasse die Zauberinnen am Leben!
«
    Sie unterbrach sich und fuhr dann so leise fort, dass es kaum zu vernehmen war: »Denn manchmal, o Herr, sind sie es nur zum Schein.«
     
    Von jenem Tag an achtete meine Mutter strikt darauf, dass ich ihr nicht in die Stadt folgen konnte. Ich bin sicher, sie meinte es nur gut, doch ich fühlte mich verletzt und zurückgestoßen. Ich weinte viel. Das Einzige, was mich tröstete, war, dass Bella und ihre Gefährtinnen mein Schicksal teilten. Sie wurden krank und bedurften meiner Hilfe.
    Tagelang behandelte ich sie. Ich machte ihnen Wickel gegen das Fieber, kühlte ihnen die Stirn und sorgte dafür, dass sie gehörig schwitzten, indem ich sie in dicke Decken hüllte. Wenn sie geschwitzt hatten, zog ich sie aus, trocknete sie ab und streifte ihnen frische Wäsche über.
    Höschen, Jäckchen, Kleidchen, alles, was meine Mutter in ihrer wenigen freien Zeit für meine Puppen angefertigt hatte, wurde von mir sorgsam gehütet; alles musste stets sauber sein und wurde, wenn nötig, mit Seifenkraut gewaschen, ausgespült und ordentlich auf eine kleine Leine gehängt. Löcher wurden, wenn ich sie entdeckte, liebevoll gestopft, nachdem meine Mutter mir gezeigt hatte, wie man mit Nadel und Faden umgeht. Sogar einen hölzernen Knopf nähte ich einmal an. Er saß zwar nicht besonders fest, aber Bella und ihre Freundinnen versicherten mir, ich hätte es gut gemacht.
    Wenn ich nicht Löcher stopfte oder Knöpfe annähte, riss ich schmale Stoffbahnen aus Kleiderresten und stellte auf diese Weise Leinenstreifen für Verbände her, die ich mehr oder weniger geschickt anlegte.
    Ich fertigte Kompressen aus alter Wolle und drückte sie auf die Stellen, wo Bella und die anderen Puppen sich beim Spielen verletzt hatten.
    Ich holte Wasser für sie, gab ihnen zu trinken und rührte Reisbrei für sie an. Ich tat Apfelstückchen in den Brei und fütterte sie, bis sie satt waren. Und wenn sie satt waren, gab ich ihnen eine Extraportion, obwohl sie es nicht wollten, denn wer krank ist, braucht viel gutes Essen, um wieder gesund zu werden.
    Ich setzte sie nacheinander auf einen winzigen Topf, damit sie ihre Notdurft verrichten konnten, und ich putzte ihnen anschließend den kleinen Po ab.
    Langsam, ganz langsam genasen sie.
    »Du siehst in letzter Zeit besser aus«, sagte meine Mutter eines Abends, als sie nach Hause kam. »Das ist schön. Vielleicht spielst du in Zukunft nicht mehr nur mit deinen Puppen, sondern versuchst es mal mit den Nachbarskindern?«
    »Nein!«
    »Ich weiß, sie haben dich gehänselt, aber das werden sie bestimmt nicht mehr tun. Kinder vergessen schnell. Sie können sich nicht ewig darüber lustig machen, dass du im Gesicht dieses, äh …« Meine Mutter hielt inne.
    »Ich will nicht mit den Kindern spielen! Ich hab Angst
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