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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman
Autoren: Wolf Serno
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gewachsen, schlank, mit gerader Haltung und gleichmäßigen Proportionen, nur mein Kopf mit den schulterlangen kastanienbraunen Haaren war für meinen Körper ein wenig zu groß, was aber, wie ich heute weiß, für ein Kind meines damaligen Alters völlig normal ist.
    Keineswegs normal jedoch war mein Gesicht.
    Die gesamte linke Hälfte war violett verfärbt. Fremd und abstoßend wirkte die Fläche auf mich, fast monströs. Sie zog sich von der Stirn über das Auge an der Nase vorbei bis hinunter zur Wange, vom Ansatz des linken Ohrs bis in den Mundwinkel hinein. Ich sah zum ersten Mal, wie entstellt ich war, und ich sah, wie mein Gesicht sich veränderte. Eben noch neugierig und voller Erwartung, nahm es einen Ausdruck der Angst und des Abscheus an. Meine Lippen begannen zu zittern – wie häufig, bevor ich weinen muss. Doch diesmal weinte ich nicht, ich war viel zu entsetzt. Ich strich mit meiner Hand über den Spiegel, dort, wo die rote Fläche mir entgegenleuchtete. Sie fühlte sich glatt und nichtssagend an. Dann legte ich die Hand an mein Gesicht – und ich spürte den Unterschied, über den ich mir niemals zuvor Gedanken gemacht hatte: Die Haut der linken Gesichtshälfte fühlte sich rauher an als die der rechten. Viel rauher und, wie ich glaubte, auch wulstig. Das war zu viel für mich. Ich schluchzte auf und begann hemmungslos zu weinen.
    Eine Tür schlug zu. »Ich bin zurück, meine Kleine, wo steckst du?« Schritte näherten sich. »Ach, hier bist du, sag mal, wer hat dir erlaubt …?«
    Meine Mutter erkannte die Situation mit einem Blick. Sie nahm mich in den Arm und führte mich aus der Werkstatt. In der Küche setzte sie sich und nahm mich auf den Schoß. »Weine nicht«, sagte sie. »Irgendwann musste es ja so kommen.«
    Ich heulte weiter, meine Tränen flossen, meine Schultern zuckten, ich war der hässlichste Mensch auf Erden! »Mach das weg, Mamma!«, rief ich.
    »Ich fürchte, das geht nicht weg, meine Kleine«, sagte meine Mutter. Sie wollte mir über die schreckliche Stelle streichen, aber ich stieß ihre Hand fort.
    »Mach das weg, ich will das nicht haben!«
    »Das ist ein Feuermal, eine
voglia di vino
«, sagte sie. »Niemand weiß, wofür es steht.«
    Diese Worte konnten mich nicht trösten, und auch die nächsten Sätze meiner Mutter, die sicher gut gemeint waren, vermochten es nicht: »Damit wirst du dein ganzes Leben leben müssen, meine Kleine. Ja, das wirst du wohl. Nun, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass du es schon heute erfahren hast. Umso frühzeitiger kannst du dich daran gewöhnen. Es gibt vieles im Leben, an das man sich gewöhnen muss, vieles, was schlimmer ist, glaub mir. Hauptsache, du bist gesund. Du bist ein großes, gesundes Mädchen und musst jetzt nicht mehr weinen. Nicht wahr, du musst jetzt nicht mehr weinen?«
    Ich heulte weiter und sprang von ihrem Schoß. Ich lief zu meinem Bett, auf dem meine Puppen lagen, und vergrub mein Gesicht in ihnen.
    Meine Mutter folgte mir. »Ja«, sagte sie, »so ist es recht, spiele nur mit Bella, das wird dich ablenken.«
    Ich fuhr hoch und funkelte sie an: »Bella ist tot, du hast es selbst gesagt!«
    »Sicher, sicher.« Meine Mutter machte eine hilflose Geste. »Natürlich ist sie tot, meine Kleine. Aber das ist doch nicht so schlimm, sie hat ja niemals gelebt.«
     
    Von diesem Tage an war der Spiegel mein Feind. Einerseits mied ich ihn wie der Teufel das Weihwasser, weil er mir gnadenlos aufgezeigt hatte, wie hässlich ich bin – andererseits fühlte ich mich unwiderstehlich zu ihm hingezogen, weil ich hoffte, ein Wunder wäre geschehen und meine Entstellung über Nacht verschwunden. Doch jedes Mal enttäuschte er mich.
    Ich verabscheute ihn dafür. Ich verfluchte ihn. Ich gab ihm den Namen »hässlicher Feind«,
brutto nemico,
und ich schrie ihn an, warum er das mit mir mache.
    Natürlich antwortete er nicht. Er hing nur da, goldumrahmt, und zeigte mir immer das gleiche Bild. Denn er war nur ein Gegenstand. So tot wie meine Puppe Bella.
    Immerhin brachte er mich zum Nachdenken. Ich erkannte, warum die dickbusige Signora Vascellini und ihre vornehmen Freundinnen so entsetzt auf mein Äußeres reagiert und mich abfällig als Kreatur bezeichnet hatten, und ich konnte mir auch einen Reim darauf machen, warum die Nachbarskinder mich mit Schmähworten wie
Strega
und
Maliarda
beschimpft hatten. Nur an den seltsamen Begriff, mit dem Signora Vascellini meine Entstellung bezeichnet hatte, erinnerte ich mich nicht.
    So
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