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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman
Autoren: Wolf Serno
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die Produkte ihrer Nähkunst zu transportieren pflegte, und auf die Haustür zuging. »Du kannst nicht mitkommen, Carla. Wenn du älter bist, wirst du verstehen, warum es nicht geht. Nun weine nicht mehr.
Arrivederci,
meine Kleine.«
    Die Tür fiel ins Schloss, meine Mutter sperrte von außen ab, und ich blieb zurück.
    Ich schluchzte noch ein wenig, dann beruhigte ich mich. Es machte keinen Sinn mehr, zu weinen. Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und nahm Bella, meine Lieblingspuppe, auf den Arm. Ich begann, sie hin und her zu wiegen, und fragte: »Bella, warum nimmt Mamma mich nie mit?« Aber Bella, die wie alle meine Puppen sprechen konnte, schwieg diesmal.
    Das verdross mich. Ich legte sie zurück in ihr Bettchen und stand auf. Mein Blick ging zur Tür, durch die meine Mutter vor wenigen Augenblicken verschwunden war. »Ich will zu den Bienen«, murmelte ich, »ja, zu den Bienen.« Und kurz entschlossen schlüpfte ich durch das offene Fenster, das auf der Hinterseite des Hauses zum Garten hinauswies.
    Als ich draußen war, musste ich wegen der grellen Sonne blinzeln, aber ich war den Weg in die Stadt schon so viele Male in Gedanken gelaufen, dass ich mich sogar blind zurechtgefunden hätte. Meine Mutter, die an diesem Tag ein hochgeschlossenes Kleid aus lindgrünem Tuch und ein mit Glasperlen verziertes Haarnetz trug, war schon ein gutes Stück entfernt. Sie hatte bereits die Brücke passiert, die über den Canale di Castiglioni führte, und auch die kleine Kirche Santa Maria de la Carità hinter sich gelassen. Ich fing an zu rennen und hatte sie bald darauf eingeholt. Damit sie mich nicht entdeckte, ging ich auf der anderen Straßenseite und folgte ihr im Schatten der Häuser.
    Je näher wir der Stadt kamen, desto belebter wurde die Strada San Felice. Staunend beobachtete ich, wie immer mehr Menschen vor mir auftauchten, Menschen, die in unterschiedlichste Richtungen strebten, bunt gekleidet, schwatzend, lachend, pfeifend oder fluchend, dazwischen Karren, Kutschen und oftmals ein Reiter, der hoch zu Ross vorbeipreschte. Immer wieder blieb ich stehen, um zu schauen. Ich konnte mich nicht sattsehen an dem lebhaften Treiben um mich herum.
    Viel fehlte nicht, und ich hätte meine Mutter aus den Augen verloren, denn plötzlich wandte sie sich nach links und schlug den Weg zur Piazza Maggiore ein. Dieser belebte Platz im Zentrum Bolognas dient seit jeher vielerlei Zwecken; er ist der Ort für Feste, Paraden und Versammlungen, für Märkte und Messen und sogar für Hinrichtungen, die vor dem Palazzo del Podestà stattfinden. Vor allem aber ist dort der große Neptunbrunnen,
Fontana del Nettuno
genannt, ein Treffpunkt für alle Bürger der Stadt.
    Meine Mutter jedoch schien niemanden auf dem Platz treffen zu wollen. Sie schritt zielstrebig über die weiträumige Fläche und bog bald darauf in die Via de Foscarari ein, wo sie in einem prächtigen Patrizier-Palazzo verschwand.
    Unbemerkt folgte ich ihr und stand wenig später vor der hohen zweiflügeligen Eingangstür. Wieder eine Tür, die im Weg ist, dachte ich enttäuscht. Doch während ich noch unschlüssig von einem Bein aufs andere trat, bemerkte ich, dass einer der Flügel nicht ganz geschlossen war.
    Sollte ich es wagen?
    Ich wagte es. Ich nahm all meinen Mut zusammen und betrat das große Haus. Drinnen empfingen mich Kühle, Halbdunkel und ein unangenehmer Geruch nach abgestandenen Speisen. Ich fröstelte. Mein Herz, das mir zuvor schon bis zum Hals geklopft hatte, begann zu rasen. Angst kroch in mir hoch. Nein, hier wollte ich auf keinen Fall bleiben! Doch plötzlich hörte ich Stimmen aus dem oberen Stockwerk. Ich lauschte. Eine davon war mir vertraut. Sie gehörte meiner Mutter. Welch eine Erleichterung! Wo meine Mutter war, war Sicherheit. Schnell lief ich die Stufen der großen Treppe empor und stürmte in das Zimmer, aus dem die Stimmen kamen. Ich war froh, das Verfolgungsspiel beenden zu können, sehr froh sogar. Und weil ich mich so freute, war ich sicher, dass meine Mutter sich ebenfalls über das unverhoffte Wiedersehen freuen würde.
    Es kam ganz anders. Als sie mich erblickte, riss sie den Mund auf, als sei der Leibhaftige in sie gefahren, und gab einen erstickten Laut von sich. Mehrere vornehme Damen, die an einem ovalen Tisch saßen, auf dem Wein, Gebäck, kandierte Früchte und weiteres Zuckerwerk standen, schauten ebenso entsetzt drein. Eine von ihnen, eine Frau mit üppigem Busen, rief:
»Sant’lddio!«,
und zeigte mit dem Finger auf
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