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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin
Autoren: Lea Korte
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Amulett, dessen Geist das Kind während seines ganzen Lebens beschützen sollte. Erst vor wenigen Wochen hatte Zahra den Ring von der Kette abnehmen und an ihren Mittelfinger stecken können, weil er endlich zumindest an diesem Finger passte, und ihn seither mit großem Stolz getragen. Stumm bat sie ihren Schutzgeist, ihr beizustehen, und nickte. »Mich wird schon niemand erwischen!«
    »Gut«, sagte Aischa schlicht. »Dann geh hinunter in den Myrtenhof und versteck dich dort. Wenn die Wachen die Kastilier in den Thronsaal geführt haben, schleichst du dich an den Empfangssaal heran. Bei der Hitze heute wird die Tür des Thronsaals gewiss offen stehen, und so solltest du hören können, was sie zu besprechen haben. Geh sofort. Denn wenn du unten zugleich mit den kastilischen Gesandten ankommst, wird dir keine Zeit mehr bleiben, dir ein Versteck zu suchen – falls die Wachleute dich dann überhaupt noch in den Hof lassen.«
    Mit geübten Griffen legte Zahra ihren Gesichtsschleier, den Niqab, an, ohne den sich auch so junge Mädchen wie sie nicht außerhalb der Frauengemächer zeigen durften, schwang sich den Hidschab, ein großes Umschlagtuch, um Kopf und Oberkörper und eilte über die Hintertreppe nach unten.
     
    Zahra kam, ohne angehalten zu werden, an den überall im Palast aufgestellten Wachen vorbei. Viele kannten sie, andere schenkten ihr keine Beachtung. Sie waren dafür abgestellt, Meuchelmörder abzuwehren; kleine Mädchen interessierten sie nicht. Erst vor dem Eingang zum Myrtenhof versperrte eine Leibwache des Emirs Zahra den Weg. »Was hast du hier zu suchen?«, knurrte der große, mit einem Krummsäbel und zwei Dolchen bewaffnete Mann.
    Unwillkürlich wich Zahra einen Schritt zurück.
    »Im Thronsaal finden wichtige Beratungen statt!«
    »Mei… meine Herrin hat mich gebeten, ihr einen Bund Myrten aus dem Myrtenhof zu holen«, stotterte Zahra. Obwohl ihr Herz flatterte, gelang es ihr, eine unschuldige Miene aufzusetzen.
    Der Leibwächter machte eine unwillige Handbewegung. »Dann lauf, aber sieh zu, dass du wieder in den Gemächern der Sultanin bist, bevor die Abgesandten eintreffen!«
    Zahra nickte und huschte weiter. Vor dem Einlass des Thronsaals, der auch Saal der Gesandten genannt wurde, traf sie noch einmal auf zwei Wachleute, die ihr allerdings nicht mehr Aufmerksamkeit als einem vorbeiflatternden Schmetterling schenkten. Zahra atmete auf und zwang sich, gemächlich zum Zentrum des Patios weiterzugehen, einem langgestreckten Wasserbecken. Wie an allen klaren Tagen spiegelte sich die mit zahlreichen filigranen Kunstwerken verzierte Fassade des Comaresturms friedlich in dem von immergrünen, herrlich duftenden Myrtenhecken umsäumten Becken. Ohne die Wachen aus den Augen zu lassen, pflückte Zahra hier und da einen blütengefüllten Zweig und näherte sich dabei dem Thronsaal.
    Wie Aischa vermutet hatte, stand die hohe Doppelflügeltür weit offen. Wütende Stimmen drangen nach draußen. Schon bald begriff Zahra, dass der Grund des Zorns die Angriffe der Kastilier auf die fruchtbare Vega waren, die alte Scheidewand zwischen dem maurischen Königreich Granada und dem christlichen Kastilien. Am Vortag hatten sie erneut ein maurisches Dorf angegriffen und dabei einen Hügel kostbarer Olivenbäume niedergebrannt und ein Dutzend Männer gefangen genommen.
    »Und inzwischen bieten sie unsere Landsleute sicher schon hohnlachend auf einem ihrer Sklavenmärkte feil!«, übertönte die Stimme von Zahras Halbbruder Yazid die anderen. »Mein Emir, glaubt Ihr mir jetzt endlich, dass wir den Christen die Stirn bieten müssen?«
    »Das müssen wir allerdings. Und sei gewiss, dass ich den christlichen Gesandten schon heute die erste Lektion erteilen werde. Die gestrigen Überfalle der Heiden haben dem Ganzen wirklich die Krone aufgesetzt!«
    »Ich hoffe nur«, mischte sich der Großwesir mit seiner bedächtigen Stimme ins Gespräch, »dass Ihr bei all Eurer berechtigten Empörung nicht vergesst, dass den Christen solch kleinere Überfälle laut unseren Waffenstillstandsvereinbarungen ausdrücklich erlaubt sind, wie ja auch wir das Recht der Dreitagekriege regelmäßig in Anspruch nehmen!«
    Wütende Stimmen fielen ihm ins Wort, welche die Taten der Mauren verteidigten und die der Christen verdammten und den Wesir verstummen ließen.
    »Wir haben schon viel zu lange Geduld mit den räudigen Ungläubigen gehabt, und es ist nur gut, dass der Emir nun endlich gegen die Christen vorgehen will!«, hetzte auch Yazid
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