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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin
Autoren: Lea Korte
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flüchteten die Hofdamen, Dienerinnen und Sklavinnen unter einer Woge wehender Kleider aus dem weitläufigen Wohnraum der Sultanin, der sich im ersten Stock des Comaresturms der Alhambra befand.
    »Und was ist mit dir?«, fuhr Aischa Zahra an. »Was hockst du noch immer hier herum? Raus, habe ich gesagt, ich will allein sein!«
    Zahra erhob sich von ihrem Sitzkissen, blieb jedoch stehen. »Ihr … Ihr fürchtet Euch vor den kastilischen Gesandten, nicht wahr?«, brachte sie nach einem Zögern heraus.
    »Fürchten – ich, die Sultanin von Granada?« Aischa lachte auf, doch sie schien selbst zu merken, wie gezwungen es klang. Von plötzlichem Unwillen gepackt, erhob sie sich von ihrem Diwan und trat an eines der hohen Bogenfenster, das auf das dichtbevölkerte Viertel jenseits des Rio Darro hinausging. Ihr Blick verlor sich zwischen den weißen Häusern und Palästen des Albaicínhügels und dem sich weithin erstreckenden fruchtbaren Land ihrer Väter. Zahra sah, wie sich ihre Haltung allmählich entspannte.
    »Fürchten … Nein, ich fürchte mich nicht«, seufzte Aischa nach einer Weile und fuhr mit der Hand über das edle Holz des Fensterrahmens. »Nur Feiglinge fürchten sich. Aber die Ankunft der kastilischen Gesandten … Nun ja, sie beunruhigt mich schon. Seit sich Hassan diese kastilische Hure Isabel de Solís als Zweitfrau genommen und mich in den Comaresturm verbannt hat, erfahre ich kaum noch, was hier vorgeht, und leider gibt sich auch der Großwesir in der letzten Zeit zunehmend bedeckt. Und doch bin ich mir sicher, dass hier irgendetwas vorgeht. Warum sonst konnte mir Hassan bei unserer letzten Begegnung vor drei Tagen kaum in die Augen sehen?«
    Zahra legte das Buch auf dem Diwan ab und trat zu ihrer Gebieterin. Neben deren stets stolz aufgerichteter und solider Gestalt kam sie sich auch heute wieder klein und unscheinbar vor. Wie um sich Mut zu machen, reckte sie das Kinn.
    »Es kann allerdings gut sein, dass der Emir Pläne hat, die er Euch verschweigt«, platzte sie heraus. »Vor kurzem habe ich nämlich ein Gespräch belauscht.«
    Aischa fuhr zu ihr herum. »Was für ein Gespräch?«
    »Zwischen meinem Halbbruder Yazid und einem Fremden …« Zahra erzählte ihr das wenige, was sie wusste.
    »Also doch!« Aischa schüttelte den Kopf. »Ich wusste es, beim Allmächtigen, ich wusste, dass hier irgendetwas gespielt wird.«
    Zahra sah zu ihr auf. »Wenn ich Euch helfen kann …«
    Aischa betrachtete sie nachdenklich. »Du bist ein ungewöhnliches Mädchen. Schon damals, als deine Mutter dich ab und an mit hierhergebracht hat und du mit meinen Söhnen gespielt hast, habe ich mir manches Mal insgeheim gewünscht, dass wenigstens einer meiner beiden Söhne etwas von deinem Mut und deiner Entschlossenheit besäße. Deswegen habe ich dich auch unbedingt an meinem Hof haben wollen.«
    Zahra hoffte, dass sie nicht errötete. Sie war an Lob nicht gewöhnt, weder von zu Hause, wo man sie wegen ihres Eigensinns und ihres Vorwitzes zumeist nur tadelte, noch von Aischa, deren Blicke sie zwar oft auf sich spürte, die darüber hinaus aber kaum das Wort an sie richtete. Wieder einmal fragte sie sich, warum die Sultanin sie in ihren Hofstaat aufgenommen hatte. In deren Gemächern gab es ohnehin schon mehr dienstbare Geister als Aufgaben, und überdies verfügte Zahra über keinerlei Erfahrung als Hofdame. Sicher, im Unterschied zu den anderen konnte sie lesen und schreiben, aber darüber hinaus … Auch ihr Vater hatte sich gewundert, als Aischa sie in den Palast berief, und ihr Ansinnen zunächst kategorisch abgelehnt, doch seine Frau hatte ihm so lange zugesetzt, bis er schließlich zustimmte, dass Zahra an drei Tagen der Woche am Hof lebte.
    Aischas Frage durchbrach ihre Gedanken. »Würdest du dir zutrauen, dich in den Myrtenhof zu schleichen und das Gespräch zwischen Hassan und den kastilischen Abgesandten zu belauschen? Aber du weißt: Wenn sie dich dabei erwischen, landest du im Kerker, und so gering, wie mein Einfluss derzeit ist, kann es Monate dauern, bis ich dich wieder freibekomme!«
    Zahra schluckte und berührte instinktiv den feinziselierten, mit einem blauen Saphir besetzten Ring an ihrem Mittelfinger. Wie alle blauen Steine galt der Saphir bei den Arabern als Schutz gegen den bösen Blick und anderes Ungemach, und ihr Ring war sogar noch weit machtvoller: In ihm wohnte ihr Schutzgeist. Ihre maurische Großmutter hatte ihn ihr am Tag ihrer Geburt an einer Kette um den Hals gehängt. Ein
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