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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin
Autoren: Lea Korte
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andere Hand ab. Beim Allmächtigen, wo war ihr Ring? Am Morgen, bei Aischa im Comaresturm, da war sie sich sicher, hatte sie ihn noch am Finger gehabt. Beklommenheit kroch in ihr hoch.
    »Wir werden ihn wiederfinden, ganz gewiss!« Tamu heftete ihre granitschwarzen Augen auf sie. »Und wenn nicht, werden wir die Propheten bitten, Eurem Schutzgeist den Weg zu Euch zurück zu weisen!«
    »Und du meinst, so findet er mich auch ganz bestimmt?«
    Tamu nickte. »Geht jetzt in den Patio. Ihr wisst, dass Euer Vater es hasst, wenn jemand zu spät zum Essen erscheint, und er hat sicher schon gehört, dass Ihr da seid!«
    Zahra drückte der alten Dienerin die Hand und hätte sie am liebsten nicht wieder losgelassen. Seit sie wusste, dass sie den Ring mit ihrem Schutzgeist verloren hatte, erschienen ihr die Ereignisse dieses Tages in einem noch viel unheimlicheren Licht …
     
    Am Ende des Hausflurs wehte Zahra zusammen mit einem auffrischenden Lüftchen der angenehm süßliche Duft entgegen, welcher der Blumenpracht des weitläufigen Patios entströmte. In das sanfte Plätschern des Springbrunnens in der Mitte des Patios mischten sich die Stimmen ihrer Familie, die hinter den blühenden Oleanderbüschen saß. Wie immer hatten die Diener den niedrigen Esstisch mit einem feinledernen Tuch überzogen und für das Abendessen, die wichtigste Mahlzeit des Tages, das edle Porzellan und kunstvoll geformte Gläser gedeckt. Als Zahra ihre jüdische Freundin Deborah entdeckte, hätte sie diese am liebsten sofort in die Arme geschlossen, aber die Sitte verlangte, dass sie sich zuerst ihrem Vater zuwandte. Abdarrahman as-Sulami thronte am Kopfende des Tisches auf einem weichgepolsterten Podium und erzählte seiner Frau gerade von einem Besuch bei Freunden. Als Zahra vor ihn trat und ihn mit einem ehrerbietigen
»Salam aleikum«
begrüßte, blickte er zu ihr auf.
    »Möge Allah, er ist erhaben, dich segnen«, erwiderte er. Seine tiefschwarzen Augen unterzogen sie einer strengen Prüfung. Vorsorglich verbarg Zahra die Hand mit dem fehlenden Schutzring unter dem Ärmel ihrer Tunika. Das Letzte, wonach ihr nach diesem Tag zumute war, war eine Standpauke ihres Vaters wegen ihrer Unachtsamkeit. Erst nach etlichen Atemzügen gab er ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie nun ihre Mutter begrüßen dürfe. Leonor, die am gegenüberliegenden Kopfende saß, schloss Zahra liebevoll in die Arme und küsste sie auf beide Wangen. Unwillkürlich atmete Zahra tief ein. Sie liebte den feinen Blütenduft, der von dem samtigen, kastanienbraunen Haar ihrer Mutter ausging und für sie untrennbar mit ihr verbunden war.
    »Wie schön, dass du schon da bist«, sagte Leonor und drückte sie noch einmal herzlich an sich.
    Rechts von ihr saß Zahras vier Jahre jüngere Schwester Zainab, ein schmächtiges, blasses Mädchen mit großen, graublauen Augen, das wegen seiner Kränklichkeit nicht nur von der Dienerschaft verhätschelt wurde. Zahra wuschelte ihr neckend durch die feinen, aschblonden Locken und lächelte ihrer Halbschwester Hayat, die neben Zainab saß, herzlich zu. Während Hayat früher wegen ihres immerhin zehnjährigen Altersunterschieds wie eine zweite Mutter für sie gewesen war, verband sie mittlerweile eine herzliche Freundschaft. Anschließend wandte sie sich der anderen Tischseite zu, zog Deborah mit einem tiefen Seufzer an sich und strich ihrem vier Jahre älteren Bruder Raschid, der neben ihrem Vater saß, über den Arm. Sie liebte und verehrte Raschid, der von ihrer Mutter nicht nur die braunen Locken und die bernsteinfarbenen Augen geerbt hatte, sondern auch ihre sanfte Heiterkeit, ihre Güte und einen untrüglichen Sinn für Gerechtigkeit. Sie war froh, dass er und Deborah im nächsten Frühjahr heiraten würden und Deborah danach ganz zu ihrer Familie gehörte. Eheschließungen zwischen Juden und Mauren entsprachen zwar nicht den Sitten, aber Deborahs Vater, ein Arzt, hatte Leonor nach der Geburt von Zainab das Leben gerettet. Hernach hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen den Männern entwickelt, so dass sie mit der Hochzeit ihrer verliebten Kinder voll und ganz einverstanden gewesen waren.
    Zwei Diener brachten einen scharf gewürzten und verlockend duftenden Lammbraten, in Korianderöl gebratene Fleischbällchen und eine große Schüssel Reis. Während der eine Diener der Sitte entsprechend zunächst den Hausherrn, dann Raschid und anschließend die Frauen bediente, holte der andere winzige gefüllte Blätterteigpasteten, Salate
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