Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
Dachluke stand, trug die Uniform eines Leutnants der Innsbrucker Kaiserjäger und sah ihn mit leicht emporgezogenen Augenbrauen an. Er war glatt rasiert, hatte ein gutgeschnittenes Gesicht und dunkle, mit grauen Strähnen durchzogene Haare, die an den Schläfen zurückwichen. Das von oben auf ihn herabfallende Licht betonte das makellose Weiß seiner Uniformjacke und ließ die scharfen Linien neben seinen Mundwinkeln hervortreten. Den Revolver hatte er lässig in seinen Gürtel gesteckt. Ein professioneller Killer, dachte Tron, sieht anders aus – kälter, gnadenloser. Er dachte an Zorzis Tod, um Abscheu gegenüber diesem Mann zu empfinden, aber es gelang ihm nicht.

    «Der Polizeipräsident hatte dem Generaladjutanten versichert, dass Sie sich raushalten würden, Commissario», sagte der Mann ruhig, nachdem er Tron gemustert hatte. Sein Italienisch hatte einen Einschlag ins Venezianische.
    Tron runzelte die Stirn. «Sie wissen, wer ich bin?»
    «Jedenfalls kein Rittmeister der Honved-Husaren. Was wollen Sie?»
    «Dass Sie aufgeben. Sie können den Anschlag nicht mehr als Tat eines italienischen Patrioten verkaufen. Es wissen inzwischen zu viele Leute über die Militärverschwörung Bescheid.»
    Ein flüchtiges Lächeln erschien auf dem Gesicht des  Mannes. Dann sagte er etwas, das Tron nicht verstand. Er sagte: «Es gibt keine Militärverschwörung, Commissario.
    Mein Auftrag bestand darin, mit Platzpatronen auf den Kaiser zu feuern.» Mit einem Achselzucken setzte er hinzu: «Nichts steigert das Ansehen eines Monarchen so sehr wie ein fehlgeschlagenes Attentat.»
    Einen Augenblick lang war Tron davon überzeugt, dass der Mann etwas völlig Sinnloses gesagt hatte. Etwas, das weder zu dem passte, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte, noch zu dem, was sich hier auf dem Dachboden zutrug. Es war das Wort Platzpatronen, an dem sein Verstand schließlich andockte und das dem Satz einen Sinn verlieh. Tron unterdrückte erfolgreich den Impuls, in ein hysterisches Gelächter auszubrechen. Er musste mehrmals schlucken, bevor er sprechen konnte. «Sie meinen, es war alles ein …» Er brach den Satz ab, weil ihm das richtige Wort fehlte.
    «Ein Schmierentheater», bestätigte der Mann ruhig.
    Ja, dachte Tron. Genau das war es. Nur dass dieses  Schmierentheater ein paar Leute das Leben gekostet hatte. Er räusperte sich und sagte: «Deshalb also wollte Crenneville, dass wir uns aus der Angelegenheit heraushalten.»
    Der Mann nickte. Und dann sagte er zum zweiten Mal  etwas, das Tron nicht verstand – das Tron überhaupt nicht verstand. Er sagte, ohne die Stimme zu heben und in beiläufigem Ton: «Allerdings konnte er nicht wissen, dass Sie recht hatten, Commissario.»
    Dass Sie recht hatten, Commissario –? Tron hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, dass sein Verstand sich aus dem Schädel löste und langsam durch die Dachluke hindurch in den blauen Himmel schwebte. Er atmete tief durch und wartete darauf, dass der Satz irgendeinen Sinn ergab. Aber der Satz ergab keinen Sinn.
    «Ich werde keine Platzpatronen benutzen», fuhr der Mann fort. Er nahm das Gewehr vom Boden, klappte den Lauf zurück und schob eine Patrone in die Kammer. Dann sagte er: «Ich werde den Kaiser töten.»
    Ich werde den Kaiser töten – das war, dachte Tron, wenigstens ein eindeutiger Satz, knapp und kurz wie aus einer Schulgrammatik. Caedam Caesarem. Zorzi fiel ihm ein, dann das Seminario Patriarchale und die schwarzen Schuluniformen, in denen sie alle wie kleine Priester aussahen; er musste an die Kälte im Winter denken und Zorzis blaugefrorene Finger. Er starrte den Mann an. «Für wen arbeiten Sie?
    Für Turin? Für Garibaldi?»
    Der Mann setzte das Gewehr ab, und plötzlich sah er  grau und müde aus, wie jemand, der tagelang nicht geschlafen hatte. «Weder – noch. Ich war Kommandant einer Spezialeinheit, die einen Trupp Rothemden verfolgt hatte. Die Rothemden hatten sich bei Einbruch der Dunkelheit in ein Haus in der Nähe von Torre di Benaco geflüchtet, und wir hatten das Gebäude umstellt. Das ist auf der Ostseite des Gardasees. Ich komme aus dieser Gegend.» Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: «In diesem Haus hielten sich auch eine Frau und ein Kind auf. Deshalb haben wir es nicht gestürmt.»
    «Wann war das?»
    «Im Sommer neunundfünfzig», sagte der Mann. «Wir  haben Verstärkung aus Verona angefordert. Ich dachte, eine Übermacht würde die Rothemden bewegen aufzugeben.
    Die Verstärkung kam im Morgengrauen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher