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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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sie alles zu verbannen trachten, was sie nicht behandeln können. Die Perversität rührt aber nicht von einer psychiatrischen Störung her, sondern von einer kühlen Rationalität, verbunden mit der Unfähigkeit, die anderen als menschliche Wesen zu betrachten. Eine gewisse Anzahl dieser Perversen begeht strafbare Handlungen, für die sie abgeurteilt wird, doch die Mehrheit setzt auf Charme, gebraucht ihre Anpassungsfähigkeit, um sich einen Weg in der Gesellschaft zu bahnen, und läßt verletzte Menschen und ruinierte Leben kaltlächelnd hinter sich. Psychiater, Richter, Erzieher – wir alle sind Perversen in die Falle gegangen, denen es gelang, sich als Opfer darzustellen. Sie führten uns vor, was wir von ihnen erwarteten, um uns besser zu ködern, und wir haben ihnen neurotische Gefühle zu erkannt. Wenn sie danach ihr wahres Gesicht zeigten und ihr Machtstreben offen zur Schau stellten, haben wir uns hintergangen gefühlt, eingeseift, manchmal sogar gedemütigt. Dies erklärt die Vorsicht der Fachleute, sie zu entlarven. Die Psychiater sagen hinter vorgehaltener Hand: «Vorsicht, das ist ein Perverser!», was heißen soll: «Das ist gefährlich» und auch: «Da kann man nichts machen». So verzichtet man darauf, den Opfern zu helfen. Natürlich ist es etwas Ernstes, die Diagnose «Perversion» auszusprechen, man behält diesen Begriff meist Handlungen von großer Grausamkeit vor, unvorstellbar selbst für Psychiater – wie die Untaten von Serienmördern. Dennoch – ob man sich nun die subtilen Aggressionen vor Augen hält, von denen ich in diesem Buch berichten werde, oder ob man von Serienmördern spricht, es geht um «Beraubung», das heißt um einen Akt, der darin besteht, sich fremden Lebens zu bemächtigen. Das Wort «pervers» erregt Anstoß, stört. Es enthält ein Werturteil, und die Psychoanalytiker weigern sich, Werturteile auszusprechen. Müssen sie deshalb aber alles akzeptieren? Die Perversion nicht zu benennen, wiegt noch schwerer, denn es bedeutet, das Opfer im Stich zu lassen, wehrlos, auf Gnade und Ungnade weiteren Überfällen ausgeliefert.
    In meiner klinischen Praxis als Psychotherapeutin habe ich das Leid der Opfer zu begreifen gelernt und ihr Unvermögen, sich zu wehren. Ich werde in diesem Buch zeigen, daß die erste Handlung dieser räuberischen Verfolger darin besteht, ihre Opfer zu lähmen, um sie daran zu hindern, sich zu verteidigen. Selbst wenn sie danach zu verstehen versuchen, was ihnen geschieht, fehlt ihnen das Handwerkszeug, es zu tun. Desgleichen werde ich versuchen, anhand der Analyse der perversen Beziehung den Vorgang zu veranschaulichen, der den Angreifer und den Angegriffenen verbindet, um den Opfern bzw. künftigen Opfern zu helfen, aus den Netzen ihrer Aggressoren herauszukommen. Wenn die Opfer sich helfen lassen wollen, hat man sie möglicherweise nicht verstanden. Es geschieht nicht selten, daß Analytiker den Opfern eines perversen Angriffs raten, erst einmal herauszufinden, inwieweit sie selbst verantwortlich sind für die erlittene Aggression, inwieweit sie diese, wenn auch unbewußt, durchaus gewollt haben. Denn die Psychoanalyse befaßt sich nur mit dem Innerpsychischen, das heißt mit dem, was sich im Kopf eines Individuums abspielt, und berücksichtigt nicht das Umfeld: Sie beachtet folglich nicht das Problem des Opfers, das sie als masochistischen Komplizen betrachtet. Wenn Therapeuten dennoch versucht haben, den Opfern zu helfen, so ist es möglich, daß sie durch ihr Zögern, einen Aggressor einen Aggressor und einen Angegriffenen einen Angegriffenen zu nennen, das Schuldgefühl des Opfers verstärkt und eben dadurch den Prozeß seiner Zerstörung verschärft haben. Ich habe den Eindruck, daß die klassischen Therapiemethoden nicht ausreichen, diesem Typus von Opfern zu helfen. Ich möchte deshalb Vorgehensweisen vorschlagen, die geeigneter sind und der Eigenart der perversen Aggression Rechnung tragen.
    Es geht hier nicht darum, den Perversen den Prozeß zu machen – die verteidigen sich im übrigen recht gut allein –, sondern darum, ihre Schädlichkeit vor Augen zu führen, ihre Gefährlichkeit für andere, um es den Opfern bzw. künftigen Opfern zu erleichtern, sich gegen sie zu verteidigen. Selbst wenn man die Perversion, völlig zu Recht, als eine defensive Verhaltensweise betrachtet (Abwehr einer Psychose oder einer Depression), entschuldigt das die Perversen doch nicht. Es gibt harmlose Handlungen, die gerade nur eine Spur von Bitterkeit oder
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