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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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aus Kautschuk auf den Funken der Phantasie einwirken».
    Der beherrschende Einfluß wird von einem narzißtischen Individuum ausgeübt, das seinen Partner lähmen will, indem es ihn in eine unbestimmte Lage, in Ungewißheit versetzt. Das erspart es ihm, sich in einer Paarbeziehung zu binden, die ihm angst macht. Durch dieses Vorgehen hält es den anderen auf Abstand, innerhalb von Grenzen, die ihm nicht gefährlich erscheinen. Wenn es auch selbst nicht von anderen vereinnahmt werden möchte, so läßt es doch den Partner erdulden, was es selbst nicht erdulden möchte, indem es ihm den Atem nimmt und ihn «zur Verfügung» bereithält. Bei einem Paar, das sich normal verhält, müßte es eine gegenseitige narzißtische Bestärkung geben, selbst wenn vereinzelte Elemente eines beherrschenden Einflusses vorkommen. Es mag geschehen, daß der eine versucht, den anderen zu «unterdrücken», um ganz sicher zu sein, im Paar in der dominierenden Position zu bleiben. Aber ein Paar, das von einem narzißtischen Perversen geleitet wird, wird zu einer tödlichen Verbindung: Verleumdung, heimliche Angriffe geschehen systematisch.
    Diese Entwicklung ist nur möglich durch zu große Nachsicht des Partners. Diese Nachsicht wird sehr häufig von den Psychoanalytikern gedeutet als verbunden mit unbewußtem, seinem Wesen nach masochistischem Gewinn, den er aus einer solchen Verbindung ziehen könne. Wir werden sehen, daß diese Deutung nur teilweise gültig ist, denn manche dieser Partner hatten zuvor keinerlei Selbstbestrafungsneigungen gezeigt und werden auch danach keine zeigen. Und wir werden sehen, daß sie gefährlich ist; denn da sie das Schuldgefühl des Partners verstärkt, hilft sie ihm in keiner Weise, Wege zu finden, um aus dieser Zwangslage herauszukommen.
    Der Ursprung dieser Nachsicht findet sich weit häufiger in einer Familientreue, die zum Beispiel darin besteht, das nachzuahmen, was ein Verwandter erlebt hat, oder auch in der Annahme der Rolle eines Heilers für den Narzißmus des anderen, eine Art Sendung, bei der sich die Person aufopfern muß.
     
    Benjamin und Annie sind sich vor zwei Jahren begegnet. Annie war damals liiert in einer frustrierenden Beziehung mit einem verheirateten Mann. Benjamin ist eifersüchtig auf diesen Mann. Verliebt fleht er sie an, diese Beziehung abzubrechen: Er möchte sie heiraten und Kinder mit ihr haben. Annie bricht die Beziehung ohne viel Zögern ab und lebt mit ihm, behält aber ihre eigene Wohnung bei.
    Von diesem Zeitpunkt an ändert sich Benjamins Verhalten. Er geht auf Distanz, wird gleichgültig und zeigt Zärtlichkeit nur, wenn er sexuelles Verlangen hat. Annie fordert zunächst Erklärungen, aber Benjamin streitet ab, daß es eine Veränderung in seinem Verhalten gebe. Da sie Konflikte nicht mag, bemüht sie sich, heiter zu erscheinen, selbst auf die Gefahr hin, Spontaneität einzubüßen. Wenn sie sich aufregt, scheint er nicht zu verstehen und reagiert nicht Nach und nach gleitet sie in einen Zustand der Depression. Da die Beziehung sich nicht bessert und Annie sich über Benjamins Ablehnung immer wieder wundert, gibt er am Ende zu, daß etwas geschehen sei; er habe es einfach nicht ertragen, sie deprimiert zu sehen. Also beschließt sie, die Depression behandeln zu lassen, die die Ursache ihrer Schwierigkeiten als Paar zu sein scheint, und beginnt eine Psychotherapie. Annie und Benjamin haben denselben Beruf. Sie hat sehr viel mehr Erfahrung. Oft bittet er sie um Rat, weist aber jede Kritik zurück: «Das ist zu nichts nütze, ich habe die Nase voll, ich weiß nicht, wovon Du sprichst!» Wiederholt hat er sich ihre Einfälle angeeignet und dabei ihre Hilfe völlig geleugnet. Nie dankt er ihr.
    Wenn sie ihn auf einen Irrtum aufmerksam macht, rechtfertigt er sich damit, daß er sagt, seine Sekretärin habe das vermutlich nicht richtig aufgezeichnet. Sie tut so, als glaube sie das, um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen.
    Er umgibt seinen Zeitplan stets mit der größten Geheimhaltung, ebenso sein Leben, seine Arbeit. Durch Zufall erfährt sie von Freunden, die sie dazu beglückwünschen, daß Benjamin soeben eine bedeutende Beförderung zugestanden wurde. Er belügt sie ständig, sagt, er komme von einer Geschäftsreise mit dem Zug zurück, während eine Fahrkarte, die er herumliegen läßt, beweist, daß das falsch ist.
    In der Öffentlichkeit bleibt er sehr zurückhaltend. Eines Tages, bei einer Cocktailparty, kommt er auf sie zu und schüttelt ihr die Hand:
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