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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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sie verborgen bleibt, und im Betrieb, wo man sich damit abfand in Zeiten der Vollbeschäftigung, weil es den Opfern freistand zu kündigen. Heute klammern sie sich verzweifelt an ihren Arbeitsplatz, auf Kosten ihrer körperlichen wie auch seelischen Gesundheit. Einige haben aufbegehrt, haben mitunter Prozesse angestrengt. Das Phänomen beginnt das Interesse der Medien auf sich zu ziehen; und dies veranlaßt die Gesellschaft, sich Fragen zu stellen.
    In unserer psychotherapeutischen Praxis werden wir tagtäglich Zeugen von Lebensgeschichten, bei denen es schwerfällt, zwischen äußerer Realität und psychischer Realität zu unterscheiden. Was aber auffällt in all diesen Leidensgeschichten, ist die Wiederholung: Was jeder für einzigartig hielt, teilen in Wahrheit viele andere mit ihm.
    Die Schwierigkeit klinischer Beschreibungen wurzelt in dem Umstand, daß jedes Wort, jede Intonation, jede Anspielung von Bedeutung ist. Alle Einzelheiten erscheinen, für sich genommen, harmlos, doch in ihrer Gesamtheit setzen sie einen zerstörerischen Prozeß in Gang. Das Opfer wird hineingezogen in dieses demütigende Spiel und kann seinerseits im Gegenzug auf perverse Art und Weise reagieren; denn dieser Form von Beziehung kann sich jeder von uns zu seiner Verteidigung bedienen. Das ist es, was dazu verleitet, zu Unrecht von geheimem Einverständnis zwischen Opfer und Aggressor zu sprechen.
    Ich hatte Gelegenheit, im Laufe meiner klinischen Praxis zu sehen, daß das perverse Individuum dazu neigt, sein zerstörerisches Verhalten in allen Lebensbereichen zu wiederholen: am Arbeitsplatz, gegenüber seinem Lebenspartner, mit seinen Kindern. Gerade diese Verhaltenskontinuität möchte ich hervorheben. So gibt es Individuen, die auf ihrer Bahn Leichen oder vielmehr lebende Leichname zurücklassen. Das hindert sie nicht, anderen Sand in die Augen zu streuen und gesellschaftlich völlig angepaßt zu erscheinen.
     
     
     
    1. Die private Gewalt
     
     
    Die perverse Gewalt gegenüber
dem Lebenspartner
     
    Die perverse Gewalt gegenüber dem Partner wird häufig bestritten oder banalisiert, verkürzt auf ein einfaches Herrschaftsverhältnis. Eine psychoanalytische Vereinfachung besteht darin, den Partner als Komplizen oder sogar als verantwortlich für die perverse Beziehung hinzustellen. Das heißt, das Ausmaß des beherrschenden Einflusses zu leugnen, der das Opfer lähmt und es hindert, sich zur Wehr zu setzen; das heißt ferner, die Gewalt der Angriffe und das Gewicht der psychologischen Auswirkung des Quälens auf das Opfer zu leugnen. Die Aggressionen sind subtil, es gibt keine greifbaren Spuren, und die Zeugen neigen dazu, als schlichte konfliktbeladene oder leidenschaftliche Beziehung zwischen zwei Personen mit schwierigem Charakter zu deuten, was in Wahrheit ein gewalttätiger Versuch von seelischer, ja sogar körperlicher Vernichtung des anderen ist, der manchmal gelingt.
    Ich werde mehrere Paare in verschiedenen Entwicklungsstadien perverser Gewalt beschreiben. Die unterschiedliche Länge meiner Berichte rührt von der Tatsache her, daß diese Beziehungen über Monate wenn nicht über Jahre hinweg heranreifen, und die Opfer erst im Laufe der Zeit lernen, den perversen Umgang zu erkennen, sich zu wehren und Beweise zusammenzutragen.
     
     
    Die Herrschsucht
     
    Bei Paaren stellt sich die perverse Regung ein, wenn das Gefühl abflaut, oder aber wenn zu große Nähe besteht.
    Zuviel Nähe kann angst machen, und eben deshalb wird zum Ziel der größten Gewalttätigkeit, was am vertrautesten ist. Ein narzißtisches Individuum zwingt seine Herrschaft auf, um den anderen festzuhalten, fürchtet aber zugleich, daß der andere zu nahe ist und es vereinnahmen könnte. Es geht also darum, ihn in einem Abhängigkeits- oder sogar Eigentumsverhältnis zu halten und damit die eigene Allmacht zu erproben. Der Partner, gefangen in Zweifel und Schuldgefühl, vermag keinen Widerstand zu leisten.
    Die unausgesprochene Botschaft lautet: «Ich liebe Dich nicht!» Aber sie ist verdeckt, damit der andere nicht fortgeht, und sie wird auf indirekte Art vermittelt. Der Partner muß dableiben, um andauernd in seinen Erwartungen enttäuscht zu werden. Gleichzeitig muß er am Denken gehindert werden, damit er sich des Vorgangs nicht bewußt wird. Patricia Highsmith beschrieb es in einem Interview in der Zeitung Le Monde: «Es geschieht manchmal, daß die Leute, die uns am meisten anziehen oder in die wir verliebt sind, so effizient wie Isolationsmittel
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