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Die Maechtigen

Titel: Die Maechtigen
Autoren: Brad Meltzer
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Als mein Vater … als er starb, sagte Pastor Lurie zu ihr, wenn ein Buchdeckel an einem Buch fehlt, der andere aber noch da ist, halten die Seiten zusammen. Er hat das meinetwegen und wegen meiner Schwestern gesagt. Mom war der andere Buchdeckel. Und wir waren die Seiten.«
    Clementine stand stumm da und starrte auf das alte blaue Lederbuch.
    »Er wollte damit eine Analogie über das Leben machen«, erklärte Beecher.
    »Hab schon verstanden.« Clementine schaute immer noch auf das alte Buch. Fast eine Minute lang sagte sie keinen Ton, sondern legte nur ihren linken Ellbogen auf den Tresen. Zehn Jahre später würde dieser Ellbogen mit tiefem Narben von einem Vorfall überzogen sein, den sie nie erwähnen würde.
    »Glaubst du, dass dieses Exemplar meinem Vater gehört haben könnte?«, fragte sie schließlich.
    Beecher zuckte die Achseln. »Vielleicht ist es auch einfach nur ein Buch.«
    Clementine hob den Blick und lächelte Beecher an. Es war bisher ihr strahlendstes Lächeln. »Übrigens, ich ziehe mit meiner Mutter nach Detroit.«
    »Hab ich gehört.«
    »Wir … sollten wirklich in Kontakt bleiben.«
    »Ja, unbedingt. Ich würde mich freuen«, antwortete Beecher. Er bekam vor Aufregung kaum Luft, besonders als Clementine nach der Lederausgabe griff und Márquez’ Meisterwerk wieder in den Milchkarton legte. »Ich gebe dir meine E-Mail-Adresse«, meinte er.
    »E-Mail?«
    »Das ist diese neue Ding … Es ist ganz modern und eigentlich Quatsch. Es wird sich niemals durchsetzen.« Er nahm ein kleines Blatt Papier, das Mr. Farris fein säuberlich aus dem Altpapier ausgeschnitten hatte, und kritzelte seine Mail-Adresse und Telefonnummer darauf. Clementine tat das Gleiche.
    Dann tauschten sie die Zettel aus, Beecher berechnete schnell den Preis für ihre Bücher und zahlte zweiunddreißig Dollar aus. Die letzten fünfzig Cent hatte er einfach aufgerundet.
    »Wenn du nach Michigan kommst, musst du mich unbedingt besuchen!«, rief Clementine, schon auf dem Weg zur Tür.
    »Und du auch, wenn du hierher zu Besuch kommst!«, erwiderte er.
    Mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen winkten sich Beecher und Clementine zum Abschied zu. Sie wussten beide ganz genau, dass sie sich nie wiedersehen würden.
     

120. Kapitel
    Eine Woche in der Zukunft
    Chatham, Ontario
    Kanada
     
    »Möchten Sie bestellen oder warten Sie auf jemanden?«, erkundigte sich der Kellner höflich.
    »Ich bleibe allein«, antwortete die Frau in dem eleganten schokoladenbraunen Mantel und schaute wieder zum Eingang des Straßencafés. Es war etwas übertrieben dekoriert und sollte an ein altes Geschäft auf einem englischen Dorfplatz der Tudorzeit erinnern. Doch die einzigen Fußgänger, die seit zwanzig Minuten vor dem Metallgeländer auf der King Street vorbeigegangen waren, waren Angestellte, die zu ihrer Mittagspause eilten. Neben ihrem Tisch stand eine Heizlampe, die voll aufgedreht war. Es war Januar. In Kanada. Viel zu kalt, um draußen zu sitzen.
    Und genau deshalb saß die Frau in dem schokoladenbraunen Mantel da.
    Sie hätte natürlich auch an einen intimeren Ort gehen können.
    In ein nahegelegenes Hotel, zum Beispiel.
    Oder in die Kirche St. Andrew.
    Stattdessen ging sie in dieses Café.
    Und setzte sich draußen hin. Wo alle sie sehen konnten.
    »Wie sind die Fischfrikadellen?« Sie blickte dem Kellner in die Augen und wollte herausfinden, ob er sie wiedererkannte.
    Er erkannte sie nicht.
    Natürlich nicht.
    Sie trug ihr Haar jetzt kurz. Und blond. Aber jeder, der sie kannte, musste dieses schiefe Lächeln erkennen.
    Ihr Vater lächelte genauso.
    »Es sei denn, Sie hätten noch etwas Besseres im Angebot«, meinte Clementine Kaye und nahm sich eine Brotstange aus dem Korb auf dem Tisch. Dann drehte sie den Kopf so, dass die Fußgänger sie sehen konnten.
    »Die Fischfrikadellen werden Ihnen sicher schmecken«, erwiderte der Kellner und notierte die Bestellung.
    Wieder gingen ein paar Leute an dem Café vorbei. Clementine lächelte ein kleines fünfjähriges Mädchen an, das neben seiner Mutter ging.
    Nach kaum einer Woche war alles schon viel besser geworden. Sicher, ihr Bein schmerzte noch von der Schusswunde, und sie wurde überall per Steckbrief im Internet gesucht. Aber es war eben das Internet. Das Leben ging weiter.
    Also konnte sie sich um das kümmern, was wirklich von Bedeutung war.
    Sie nahm die Speisekarte vom Tisch und gab sie dem Kellner zurück. Dann blickte Clementine auf den dicken braunen Manilaumschlag. Als der
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