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Die Maechtigen

Titel: Die Maechtigen
Autoren: Brad Meltzer
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erklärte Präsident Wallace. Dieser Witz war bei Parteispendern immer für einen Lacher gut. Er erhob sich von seinem Stuhl, den Notizblock an die Seite gedrückt.
    Den neuesten Forschungen zufolge wartet eine durchschnittliche Person in einer peinlichen, gesellschaftlichen Situation etwa siebzehn Sekunden, bevor sie das Schweigen bricht.
    »Mr. President«, der Archivar zögerte nicht eine einzige Sekunde, »entschuldigen Sie bitte, Sir, aber …«
    Präsident Wallace drehte sich langsam um. Seine grauen Augen wirkten beruhigend, ebenso wie das warme, väterliche Lächeln, mit dem er Gouverneur von Ohio geworden und ins Weiße Haus eingezogen war. »Mein Sohn, ich verschwinde nur kurz auf der Toilette, dann können wir …«
    »Es dauert nur eine Sekunde«, versicherte der Archivar.
    Der Raum war nicht viel größer als ein Klassenzimmer. Bevor der Archivar sich versah, stand er unmittelbar vor Wallace und versperrte dem Präsidenten den Weg zur Tür. Der blonde Agent trat einen Schritt vor. Wallace winkte ihn zurück.
    »Okay, um was geht es, Sohn?«, fragte der Präsident. Sein Grinsen wirkte angenehm unaufgeregt.
    »Ich wollte … ich …«, stammelte der Archivar, dem schwindlig wurde. »Es war bestimmt nur ein Versehen, Sir, ganz bestimmt, aber Sie könnten vielleicht gerade unbeabsichtigt … in … Ihrem Notizblock …« Der Archivar atmete tief durch. »Einer von Lincolns Briefen.«
    Der Präsident lachte und wollte am Archivar vorbeigehen.
    Der Archivar lachte ebenfalls.
    Und baute sich unmittelbar vor dem Präsidenten auf. Noch einmal.
    Die grauen Augen von Präsident Wallace zogen sich zu zwei dunklen Schlitzen zusammen. Er war viel zu clever, um sich mit irgendeinem Fremden anzulegen, aber ihn weiter anzulächeln fiel ihm sichtlich schwer. »Victor, entschuldigen Sie uns einen Augenblick.«
    »Sir …«, protestierte der blonde Secret-Service-Mann.
    »Victor …«, wiederholte der Präsident.
    Mit einem Klicken und metallischem Knarren öffnete sich die Eisentür der Stahlkammer, und Victor gesellte sich zu den anderen drei Agenten im Gang.
    Der Präsident starrte den Archivar an und umklammerte dabei seinen Notizblock. »Sohn, ich rate Ihnen, Ihre nächsten Worte sehr sorgfältig abzuwägen.«
    Der Archivar bog den Kopf zurück, um den Präsidenten sehen zu können. Wallace stand jetzt so nah vor ihm, dass er den goldenen Adler und das Siegel des Präsidenten auf den Manschettenknöpfen sehen konnte. Wir haben einen Satz Manschettenknöpfe von Johnson in unserer Sammlung, schoss dem Archivar aus irgendeinem Grund durch den Kopf. Er sah zu dem mächtigen Mann hoch und benötigte weit weniger als siebzehn Sekunden für eine Antwort.
    »Es tut mir leid, Mr. President, aber diese Lincoln-Dokumente gehören nicht Ihnen.« Einen Herzschlag lang bewegte der Präsident sich überhaupt nicht. Er blinzelte nicht einmal. Als wäre er in der Zeit eingefroren.
    Hinter dem Archivar ertönte ein dumpfes Geräusch. Die Eisentür öffnete sich.
    »Ich habe es doch gesagt, Mr. President, richtig?«, rief eine bekannte Stimme mit dem unverkennbaren Midwestern-Akzent, während die Tür gegen die Wand schlug. Der Archivar fuhr herum und sah, wie sein Boss Ronnie Cobb schneller als sonst in den Raum humpelte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er’s packt. Kein Grund, sich mit Beecher herumzuärgern.«
    Der Präsident lächelte seinen alten Freund an, ein echtes Lächeln diesmal, und legte eine Hand auf die Schulter des Archivars. »Gut für Sie«, stellte er fest.
    »Ich … verstehe nicht«, stammelte der Archivar. »Ich dachte, Ihre Chemo …« Sein Blick war immer noch auf Cobb gerichtet, der strahlte, als sei er gerade Vater geworden. »Was geht hier eigentlich vor?«
    »Haben Sie denn niemals Willy Wonka gesehen?«, erkundigte sich Cobb und humpelte ein paar Schritte heran. »Den Hauptgewinn kassiert derjenige, der die Wahrheit sagt.«
    Der Archivar zögerte einen Moment und sah die beiden Männer an. »Wovon sprechen Sie eigentlich? Und was hat Beecher damit zu tun?«
    »Entspannen Sie sich; wir haben etwas viel Besseres im Ärmel als eine unheimliche Schokoladenfabrik«, erwiderte Präsident Orson Wallace und schlug den Secret-Service-Agenten die Tür der Zitadelle vor der Nase zu. »Willkommen im Culperring.«
     

1. Kapitel
    Es gibt Geschichten, die keiner kennt. Verborgene Geschichten.
    Solche Geschichten liebe ich.
    Da ich im Nationalarchiv arbeite, verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt damit, solche
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