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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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Endlich scheint das Ungeheuer von Florenz, der Mörder von acht Liebespaaren, gefaßt zu sein – nach über 20 Jahren Ermittlungsarbeit eine Sensation. Das Ergebnis des Indizienprozesses vermag Maresciallo Guarnaccia jedoch nicht zu überzeugen. Er sieht hinter die Kulissen einer korrupten Justiz, setzt dort an, wo diese schludrig gearbeitet hat, und stößt dabei auf schauerlichste Familienverhältnisse.
    1
    Es war so dunkel auf dem Domplatz an jenem Samstagabend im November, daß man meinte, es müsse sehr kalt sein. Doch die Leute, die unter Giottos Marmorturm von einem Geschäft zum anderen hasteten, als die große Glocke sechs schlug, waren schweißgebadet und übelgelaunt. Irgendwo schrie ein kleines Kind und stampfte trotzig mit den Füßen auf. Maresciallo Guarnaccia bahnte sich den Weg durch die Menge und wünschte, er hätte sich nicht dazu verleiten lassen, einen Mantel anzuziehen. Alles an diesem Abend war winterlich, nur die Temperatur nicht, und da er zu dem Schluß gekommen war, es sei am besten, nicht in Uniform zu gehen, schwitzte er nun heftig und verfluchte nicht nur die schwere Wolle auf seinem Rücken, sondern auch seine Entscheidung, zu Fuß durch das Zentrum von Florenz zu gehen und nicht das Auto zu nehmen. Er wollte immer ein wenig von seinem Übergewicht loswerden, doch bei allem, was aus seinen guten Vorsätzen wurde, konnte er es ebensogut bleibenlassen.
    Die Menschen erstiegen die marmornen Stufen zum schweren bronzenen Domportal und zur Samstagabendmesse, herbeigerufen von der noch immer läutenden Glocke. Der Maresciallo verließ den Platz durch die schmale Via de' Servi, wollte sich nicht dem noch dichteren Gedränge und dem lärmenden Verkehr der breiteren und geschäftigeren Via Martelli aussetzen. In der ruhigeren Straße angekommen, verlangsamte er seinen Schritt, hoffte, weniger zu schwitzen, und ging die Ausrede durch, die er sich für den inoffiziellen Besuch, zu dem er unterwegs war, zurechtgelegt hatte. Eine komische Sache, offiziell ließ sich da natürlich gar nichts machen. Dafür gab es Experten. Trotzdem konnte er das einem alten Bekannten nicht abschlagen. Der junge Mann mußte jetzt dreißig sein.
    Die Jahre verflogen so schnell.
    Marco Landini war ungefähr siebzehn gewesen, als der Maresciallo ihn an einem heißen Samstagabend gegen halb elf zum ersten Mal gesehen hatte, an der Piazza Santo Spirito, im offenen Eingang zu einer Wohnung im ersten Stock kauernd und weinend. Der Krankenwagen mit dem Opfer einer Überdosis war gerade abgefahren, leise, ohne Sirene. Der Junge war schon tot gewesen. Der Maresciallo stand da und schaute auf den in der Haustür liegenden Jungen hinab. Eigentlich weinte er gar nicht, er heulte vielmehr, fast wie ein Hund. Er schien in guter körperlicher Verfassung zu sein und war gut gekleidet. Offenbar noch kein Gewohnheitskonsument. Es war gerade Mode, sich Samstagabends einen Schuß zu setzen, und wer die Schule schwänzte, tat das, um einen Tag im Bett zu liegen, das Dröhnen des Walkmans im Ohr, während ein Blutstropfen den über den Bettrand gestreckten Arm hinabrann. Die Straßen, Discos und Schultoiletten waren damals übersät mit Spritzen, und nur Eltern, die ebenso unschuldig wie ahnungslos waren, hatten keine Angst.
    »Na komm, reiß dich zusammen«, sagte der Maresciallo barsch, »sieh zu, daß du nach Hause kommst. Kannst du gehen?«
    Der Junge nickte und zog den Atem tief ein, um sein Heulen in den Griff zu kriegen.
    »Mir geht's gut. Ich… ich meine, ich hab nicht…«
    »Na, dann steh auf. Schieb ab.«
    »Wo sind die anderen…?«
    Der Junge begriff anscheinend erst in diesem Augenblick, was geschehen war. Er rieb sich wie ein Kind mit der Hand über die geröteten Wangen und sah durch die Tür in die Wohnung hinein. Ein kleines Zimmer war zu sehen, das bis auf zwei Klappbetten mit fleckigen Matratzen und einen schmutzigen Ausguß in einer Ecke kahl war. Spritzen, Gummischläuche und ausgedrückte halbe Zitronen waren über die schmutzigen gesprenkelten Bodenfliesen verstreut.
    »Was hast du denn erwartet?« sagte der Maresciallo. »Sie sind weggerannt, als sie sahen, daß der Junge stirbt.«
    Seltsam genug, dachte er bei sich, daß sie sich überhaupt die Mühe gemacht haben, Hilfe zu holen.
    »Ich hab den Krankenwagen gerufen«, sagte der Junge, als beantworte er den unausgesprochenen Gedanken. »Ich weiß nicht, wer er war. Er war ihr Freund. Sind sie mit ihm im Krankenwagen mitgefahren? Sie werden es seiner Mutter sagen
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